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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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genug nach Elkhorn gegangen, daß sie den Weg auch im Dunkeln fanden.
    Dabei war es gar nicht dunkel. Die Wolken verzogen sich. Der helle Wintermond würde den Bergpfad ausreichend beleuchten.
    Olivia traf einen schnellen Entschluß. Mr. Gabriel Danaher würde, wie andere Männer vor ihm, feststellen müssen, daß Olivia Baron selbst über ihr Leben bestimmte und sich von niemand Vorschriften machen ließ.

Kapitel 6
    Die hallenden Hufschläge machten die nächtliche Einsamkeit des dunklen Waldes noch bedrückender. Olivia saß beklommen im Sattel des großen Apaloosa mit dem ungewöhnlichen Namen Murdoch, dem auch nicht sonderlich wohl in seiner Haut zu sein schien, und hoffte, auf dem richtigen Weg nach Elkhorn zu sein.
    Es war womöglich doch keine so gute Idee gewesen, den Abstieg alleine zu wagen. Die Nacht war bitterkalt, der eisige Wind fuhr durch ihren Wollmantel, heulte gespenstisch in den Baumwipfeln und ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Schwankende Äste warfen im Mondschein tanzende Schattenfiguren auf den Weg. Felsbrocken und Baumstümpfe sahen im fahlen Licht aus wie lauernde Tiere. Dabei war das unheimliche Heulen nur der Wind; die zum Sprung ansetzenden wilden Tiere nur lebloses Gestein und Baumstrünke, versuchte sie sich zu beruhigen.
    Murdoch war keine Hilfe. Olivia hatte Katys Appaloosa genommen, nicht den ›geborgten‹ grauen Wallach, mit dem sie den Berg heraufgeritten war, in der Hoffnung, mit ihm leichter umgehen zu können. Weit gefehlt. Als sie sich abmühte, ihn zu satteln, hatte er sie mit feindseligem Zweifel beäugt. Zugegeben, ihre drei vergeblichen Versuche, den schweren Sattel auf seinen Rücken zu werfen, mochten den Gaul unsicher gemacht haben. Als es ihr dann endlich gelang, das Ding mit einem Schwung hinaufzubefördern, schlug ihr ein Steigbügel ins Gesicht, und sie taumelte gegen die Wand des Stalles. Dadurch wurden alle vier Gäule nervös.
    Murdoch wollte seinen warmen Stall nicht mitten in der Nacht verlassen. Erst nachdem sie in seine Flanken kräftig mit den Absätzen stieß, setzte er sich widerwillig in Bewegung. Nun waren sie schon seit ein paar Stunden unterwegs, und das Pferd ergriff immer noch jede Gelegenheit zur Umkehr. Als sie ihn an einem quer über den Weg laufenden Rinnsal trinken ließ, nahm er den Halt als Aufforderung umzudrehen und heimzutrotten. Bevor Olivia begriffen hatte, was geschah, trabte Murdoch den Weg zurück, und sie hing hilflos im Sattel. So sehr sie auch an seinen Zügeln zerrte, er ließ sich nicht beirren. Erst als er über eine hochstehende Wurzel stolperte, gelang es ihr, ihm den Kopf herumzureißen und ihn in Talrichtung zu zwingen.
    Von da an war sie auf der Hut. Sie spürte, wie Murdoch sie beobachtete, ständig den Kopf seitlich drehte und sie beäugte.
    Sie war steif gefroren, die Innenseiten ihrer Schenkel waren vom Sattel wund gescheuert und ihre Muskeln vor Kälte verkrampft. Im Haus der Talbots erwartete sie ein heißes Bad, Geborgenheit, anständiges Essen – nicht Fleischfetzen, die in ihrem Beisein aus der Seite eines an den Läufen aufgehängten Wildes abgesäbelt wurden; duftender, heißer Tee, statt der bitteren Kaffeebrühe, und ein weiches Federbett, statt einer quietschenden Feldpritsche. Sie freute sich darauf, Elkhorn vor sich liegen zu sehen. Und sie würde mit Begeisterung umarmt und begrüßt werden. Sylvester würde seine Frau wie ein aufgescheuchtes Huhn umtänzeln und ihr Bettruhe verordnen. Und Olivia würde eine Woche in dem Federbett schlafen und Gabriel Danaher und seine Monstertöchter vergessen.
    Olivia seufzte. Gabriel Danaher und seine Zwillinge – sie dachte mit gemischten Gefühlen an die drei. Dieser Danaher. Ein Mann, wie sie noch keinem begegnet war. In einer Sekunde ein Spötter, in der nächsten eine Bedrohung. Ein ungebildeter Goldsucher, der Schach spielte und ein Regal voller Bücher besaß. Ein versoffener Raufbold, der seine Kinder abgöttisch liebte und vor keinem Mittel zurückschreckte, wenn sie Hilfe brauchten. Andererseits lebte er mit ihnen abgeschieden in den Bergen und setzte sie üblen Gerüchten aus, hielt sie von Spielgefährten fern, verweigerte ihnen den Schulbesuch und die Vielfalt geistiger Entwicklungsmöglichkeiten, die sich ihnen dadurch eröffnen würden.
    Gabriel Danaher.
    Olivia stöhnte. Die schmerzenden Muskeln brauchten eine Rast. Sie zügelte Murdoch und rutschte steifgliedrig zu Boden. Die Zügel hielt sie fest in der Hand, drückte den Rücken durch und

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