Die Mehrbegabten
entwischt. Wir haben ihn auf dem Dach gesehen. O fein, da erlebe ich wieder was, wenn Sie fliegen. Sie sind so gut wie Denny, der sehr gut ist, ja, besser sind Sie! Habe ich Ihnen das schon gesagt? Ja, ich glaube schon.« Sie wirkte auf einmal sehr nervös und unruhig.
»Was ist los?« fragte er, als sie die Aufwärtsrampe betraten, die zur fünfzigsten Etage hinaufführte, wo er seinen Flitzer abgestellt hatte.
»Tja«, sagte sie, »ich fürchte, Denny wird dort nachsehen. Herumlungern. Beobachten. Aufpassen.« Sie fauchte die Worte plötzlich hinaus und verblüffte ihn damit – diese Seite kannte er an ihr noch gar nicht. »Nein«, sagte sie, »da kann ich nicht hingehen. Gehen Sie allein. Setzen Sie mich irgendwo ab, oder ich nehme die Abwärtsrampe und – « Sie ließ die Hand wegschnellen. »Für immer fort aus Ihrem Leben.« Wieder lachte sie, so wie schon vorher die ganze Zeit. »Aber Freunde können wir trotzdem bleiben. Wir können uns Postkarten schreiben.« Sie lachte. »Wir werden einander immer kennen, auch wenn wir uns nie mehr begegnen. Unsere Seelen haben sich miteinander verflochten, und wenn das geschehen ist, kann die eine nicht vernichtet werden, ohne daß die andere stirbt.« Sie lachte jetzt unbändig, praktisch in Hysterie; sie fuhr sich mit den Händen über die Augen und kicherte. »Das lehrt Cordon, und es ist so komisch, so furchtbar komisch.«
Er griff nach ihren Händen und zog sie ihr vom Gesicht. Ihre Augen leuchteten; es waren sternenähnliche Augen, auf die seinen gerichtet, tief in den seinen forschend, als holten sie sich die Antwort nicht aus seinen Worten, sondern aus dem, was in seinen Augen stand.
»Sie halten mich für verrückt«, sagte sie.
»Ohne Zweifel.«
»Sie und ich sind in dieser schrecklichen Lage, Cordon wird hingerichtet, und alles, was ich tun kann, ist lachen.«
Sie hatte jetzt aufgehört, aber mit sichtbarer Anstrengung. Ihre Lippen bebten, als sie das Lachen zurückhielt. »Ich weiß, wo wir Alkohol bekommen«, sagte sie. »Gehen wir dorthin, dann können wir uns einen Schwips antrinken.«
»Nein«, sagte er. »Ich bin schon beschwipst genug.«
»Deshalb haben Sie es also getan, sind mit mir gegangen und haben Ihre reizende Frau verlassen. Wegen dem Alkohol, den Zeta Ihnen gegeben hat.«
Ist es das? fragte er sich. Vielleicht war es so. Man wußte, daß Alkohol Persönlichkeitsveränderungen hervorrief, und er hatte sich gewiß nicht so verhalten wie sonst. Aber es war auch eine ungewöhnliche Situation; wie hätte er »sonst« auf das reagiert, was heute mit ihm geschehen war?
Ich muß die Lage in den Griff bekommen, dachte er. Und ich muß das Mädchen unter Kontrolle bekommen – oder sie endlich verlassen.
»Ich lasse mir nichts befehlen«, rief Charley. »Ich sehe schon, daß Sie mich herumkommandieren und mir sagen wollen, was ich tun und lassen soll. Wie Denny. Wie mein Vater. Eines Tages muß ich Ihnen etwas von dem erzählen, was mein Vater mit mir gemacht hat… dann begreifen Sie vielleicht besser. Etwas von den Dingen, den schrecklichen Dingen, zu denen er mich gezwungen hat. Sexuelle Dinge.«
»Oh«, sagte Nick. Das mochte ihre lesbischen Neigungen erklären, wenn Denny damit wirklich recht hatte.
»Ich glaube, ich sollte Sie besser zu einem dieser Cordoniten-Druckzentren bringen«, meinte Charley.
»Sie wissen, wo eines ist?« fragte er ungläubig. »Dann würden die Spürhunde ja alles geben, um – «
»Ich weiß. Sie würden mich nur zu gern schnappen. Ich weiß durch Denny davon. Er ist ein bedeutenderer Händler, als Sie vielleicht glauben.«
»Rechnet er nicht damit, daß Sie hingehen?«
»Er weiß nicht, daß ich es weiß. Ich bin ihm einmal gefolgt – ich dachte, er schläft mit einem anderen Mädchen, aber das stimmte nicht: Es war eine Druckzentrale. Ich schlich mich zurück und tat so, als hätte ich die Wohnung nicht verlassen; es war spät nachts, und ich stellte mich schlafend.« Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. »Das ist ein besonders interessanter Betrieb, weil er Cordonsches Material für Kinder herstellt.
Wie: ›Richtig! Das ist ein Pferd! Und als die Menschen frei waren, ritten sie auf Pferden!‹ So ungefähr.«
»Reden Sie leiser«, sagte Nick. Andere Leute fuhren mit ihnen die Aufwärtsrampe hinauf, und Charleys jugendliche, begeisterte Stimme trug weit.
»Okay«, sagte sie gehorsam.
»Zählt ein Cordonscher Druckereibetrieb nicht mit zur Spitze der Organisation?« fragte er.
»Es gibt
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