Die Mehrbegabten
sind hinter ihr her; deshalb willst du sie hier verstecken.« Sie trug Mantel und Broschüre zu Charlotte zurück. »Sie können nicht bleiben.«
»Ich hätte es dir schon noch gesagt«, meinte Nick, »aber – « Er gestikulierte. »Ich wußte, daß du so reagieren würdest. Und ich hatte recht.«
»Das mit Denny ist wahr«, erklärte Charlotte mit ruhiger, fester Stimme. »Ich verstecke mich vor ihm. Die Spürhunde sind nicht hinter mir her. Und Nick hat gesagt, daß bei Ihnen gerade erst eine Stichprobenüberprüfung gemacht worden ist. Diese Wohnung ist erst in – na, in Monaten wieder dran. Vielleicht erst in Jahren.«
Kleo hielt ihr den Mantel hin.
»Wenn sie geht«, sagte Nick, »gehe ich auch.«
»Das wäre mir lieb«, sagte Kleo.
»Ist das dein Ernst?«
»Ja, das ist mein Ernst.«
Charlotte stand auf. »Ich will Sie beide nicht auseinanderbringen. Das wäre nicht fair – ich gehe.« Sie wandte sich Nick zu. »Jedenfalls vielen Dank«, sagte sie. Sie ließ sich den Mantel geben, zog ihn an und ging zur Tür. »Ich kann Sie verstehen, Kleo«, sagte sie, als sie die Tür öffnete. Sie zeigte ihr strahlendes – jetzt aber erstarrtes – Lächeln. »Adieu.«
Nick handelte schnell – er eilte ihr nach, hielt sie bei der Tür an den Schultern fest.
»Nein«, sagte Charlotte und riß sich mit ungewöhnlicher Heftigkeit los. »Bis dann, Nick. Jedenfalls haben wir die ›Rote Seekuh‹ abgeschüttelt. Das hat Spaß gemacht. Sie sind ein guter Pilot. Schon viele haben versucht, Denny abzuschütteln, wenn er in seinem Boot saß, aber Sie sind der einzige, der es wirklich geschafft hat.« Sie strich ihm über den Arm und marschierte auf den Korridor hinaus.
Vielleicht stimmt das mit ihrem Freund, dachte Kleo. Vielleicht hat er wirklich versucht, sie zu verprügeln. Vielleicht sollten wir sie hierbehalten. Auf jeden Fall. Trotz der Tatsache… aber sie haben mir nichts gesagt, dachte sie; nicht sie; nicht sie und nicht Nick. Das läuft doch wohl auf eine Lüge hinaus. Das habe ich bei Nick noch nie erlebt. Er bringt uns alle in Gefahr, und er hat nichts gesagt – ich habe die Broschüre nur zufällig in ihrem Mantel entdeckt.
Und er geht vielleicht tatsächlich mit, wie er gesagt hat, dachte sie. Dann muß es ihn wirklich gepackt haben, dachte sie. Sie können sich nicht eben erst kennengelernt haben. Es wäre einfach nicht vernünftig, so weit zu gehen, daß man einem völlig fremden Menschen hilft… nur ist der fremde Mensch in diesem Fall schön, klein und hilflos. Männer sind oben so. Sie haben eine innere Schwäche, die in solchen Situationen zutage tritt. Sie denken und handeln nicht mehr vernünftig; sie tun, was sie für »ritterlich« halten. Egal, was es sie kostet, und hier in diesem Fall ihre Frauen und Kinder.
»Sie können bleiben«, sagte sie zu Charlotte und folgte ihr auf den Korridor hinaus, wo das
Mädchen sich noch immer bemühte, den Mantel ganz anzuziehen. Nick stand dumpf dabei, als käme er nicht mehr mit und sei deshalb an alledem nicht mehr interessiert.
»Nein«, erwiderte Charlotte. »Adieu.« Sie lief durch den Flur wie ein aufgescheuchter Vogel.
»Hol dich der Teufel«, sagte Nick zu Kleo.
»Dich auch, weil du sie hergebracht hast, damit wir alle verhaftet werden«, sagte Kleo. »Hol dich der Teufel dafür, daß du mir nichts gesagt hast.«
»Ich hätte es dir bei der richtigen Gelegenheit schon gesagt«, erwiderte er.
»Gehst du ihr nicht nach?« fragte Kleo. »Du hast doch gesagt, du tust es.«
Er starrte sie an, das Gesicht rot vor Wut, die Augen klein und dunkel. »Du hast sie zu vierzig Jahren in einem Arbeitslager auf Luna verurteilt. Sie wird ohne Geld und Unterkunft durch die Straßen irren, bis schließlich ein Streifenwagen anhält und man sie verhört.«
»Sie ist ein kluges Ding. Sie wird sich der Broschüren entledigen«, sagte Kleo.
»Man wird sie trotzdem festnehmen. Irgendeinen Grund finden sie schon.«
»Dann geh und sorg dafür, daß ihr nichts passiert. Vergiß uns, vergiß Bobby und mich und sieh nach, ob mit ihr alles in Ordnung ist. Nur zu. Geh!«
Sein Kinn schob sich vor, so als wollte er mich schlagen, dachte Kleo. Schau an, was er von seiner neuen Freundin schon gelernt hat. Brutalität.
Er schlug aber nicht zu, sondern drehte sich um und lief hinter Charlotte her den Flur entlang.
»Du Schweinehund!« schrie Kleo ihm nach, ohne sich darum zu kümmern, wer im Haus sie hören konnte. Dann ging sie in die Wohnung zurück, warf die Tür
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