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Die Meisterdiebin

Die Meisterdiebin

Titel: Die Meisterdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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silbrig in der Morgensonne, und das Tweedsakko saß perfekt an den breiten Schultern. Clea beobachtete sie durch die breite Glastür und staunte, wie perfekt sie aussahen. Dies war eine andere Welt. Eine Welt, die sie nie kennen gelernt hatte, zu der sie nie gehören würde. Durch ihre Adern strömte das falsche Blut.
    Als sie sich umdrehen wollte, um wieder nach oben zu gehen, hörte sie ihren Namen. Jordan war aufgestanden und rief nach ihr. Er winkte sie heraus. Die Chance zur Flucht war somit fürs Erste vertan.
    Clea strich den Morgenmantel glatt, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und betrat die Terrasse. Erst jetzt dachte sie an die pinkfarbenen Slipper an ihren Füßen. Die Dinger machten ein schlurfendes Geräusch auf den Steinplatten.
    Jordan zog ihr einen Stuhl heraus. „Ich wollte gerade nach dir sehen. Fühlst du dich besser?“
    Nervös zupfte sie am Morgenmantel. „Meine Sachen sind hinüber, und ich wusste nicht, was ich anziehen …“
    „Das ist in Ordnung. Wir sind hier nicht so förmlich.“
    Nicht so förmlich? Beryl trug Kaschmir und eine Reithose, Jordan Tweed. Clea setzte sich. Während Jordan ihr Kaffee eingoss und Rührei und Würstchen auf ihren Teller tat, starrte sie auf seine Hände. Lange, schmale Finger. Winzige hellblonde Haare an den Handgelenken. Die Hände eines Aristokraten, dachte Clea und erinnerte sich unwillkürlich daran, wie eben diese Hände sie mitten in der Nacht am Rand der Landstraße gestützt und gehalten hatten.
    „Magst du keine Eier?“
    Eier. Ja. Automatisch griff sie nach der Gabel und spürte die Blicke der anderen, als sie den ersten Bissen nahm.
    „Ich wollte Ihnen ein paar frische Sachen bringen“, sagte Beryl. „Aber Ihre Tür schien zu klemmen.“
    „Ich habe einen Stuhl unter den Griff geklemmt.“
    „Oh.“ Beryl lächelte.
    Niemand sagte etwas. Alle sahen Clea beim Essen zu. Ihre Blicke waren nicht unfreundlich, nur … erstaunt.
    „Eine alte Gewohnheit“, erklärte Clea und gab Sahne in den Kaffee. „Ich traue Schlössern einfach nicht, wissen Sie. Sie sind so leicht zu überwinden.“
    „Tatsächlich?“ sagte Beryl.
    „Vor allem die an Schlafzimmertüren. Selbst die modernen sind in fünf Sekunden zu knacken.“
    „Was Sie nicht sagen“, murmelte Beryl.
    Clea hob den Blick und stellte fest, dass alle sie fasziniert beobachteten. Errötend starrte sie auf den Teller. Was rede ich nur für einen Unsinn, dachte sie.
    Als Jordan nach ihrer Hand griff, zuckte sie zusammen.
    „Diana, ich habe ihnen alles gesagt.“
    Sie schaute ihn an. „Ihnen alles gesagt? Du meinst … über…“
    „Alles. Wie wir uns kennen gelernt haben. Die Anschläge auf dein Leben. Ich musste es ihnen sagen. Wenn sie dir helfen sollen, müssen sie alles wissen.“
    „Glauben Sie mir, wir wollen Ihnen wirklich helfen“, sagte Beryl. „Sie können uns vertrauen. So sehr, wie Sie Jordie vertrauen.“
    Cleas Hände zitterten, und sie legte sie in den Schoß. Sie bitten mich, ihnen zu vertrauen, dachte sie betrübt. Dabei bin ich diejenige, die nicht die Wahrheit sagt.
    „Wir haben Mittel und Wege, die dir bestimmt nützen könnten“, erklärte Jordan nachdrücklich. „Verbindungen zum Geheimdienst. Und Richards Firma ist auf Sicherheitsfragen spezialisiert. Falls du Hilfe brauchst …“
    Das Angebot war verlockend. Seit Wochen war sie nun schon allein unterwegs. Von Hotel zu Hotel. Nie sicher, wem sie vertrauen durfte und wohin es sie als Nächstes verschlagen würde. Sie war es leid, auf der Flucht zu sein.
    Trotzdem war sie noch nicht bereit, ihr Leben in fremde Hände zu legen. Nicht einmal in Jordans.
    „Ich bitte Sie nur um einen einzigen Gefallen“, sagte sie leise.
    „Ich möchte zum nächsten Bahnhof gefahren werden. Und vielleicht…“ Lachend schaute sie auf ihre Hausschuhe. „Ein paar Sachen zum Anziehen.“
    Beryl stand auf. „Das lässt sich machen.“ Sie zupfte am Ärmel ihres Verlobten. „Komm schon, Richard. Lass uns in meinem Schrank wüh len.“
    Clea blieb allein mit Jordan zurück. Einen Moment saßen sie schweigend da. In den Bäumen gurrten Tauben. Eine Wolke driftete vor die Sonne, und die Farben des Herbstlaubs wurden matt.
    „Dann verlässt du uns also“, sagte Jordan.
    „Ja.“ Sorgfältig faltete sie ihre Stoffserviette zusammen und legte sie auf den Tisch. Sie versuchte, unbeteiligt zu bleiben, doch ihre Sinne verschworen sich gegen sie. In der Nacht, mit dem ersten Kuss, hatten sie beide eine unsichtbare Schwelle

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