Die Melodie des Todes (German Edition)
zu einem früheren Zeitpunkt von der vermisst Gemeldeten angezeigt worden ist – wegen häuslicher Gewalt. Er soll mit einem Messer auf sie losgegangen sein. Ich habe mir nicht weiter Gedanken darüber gemacht. Wieder eine dieser naiven, jungen Frauen, die zu ihren gewalttätigen Lovern zurückkehren, woran man ja doch nichts ändern kann. Aber mit diesem Mord und dem Lover, der so in der Nähe wohnt, und noch dazu, dass ein Messer im Spiel ist, dachte ich, ich melde mich besser mal. Außerdem passt die Beschreibung der Toten verblüffend gut …«
»Die Beschreibung passt vermutlich auf zehntausend andere norwegische Frauen dieses Alters«, unterbrach Mona Gran ihn und fügte hinzu: »Aber wir werden alle Spuren verfolgen. Haben Sie ein Bild von der Frau?«
»Ja, habe ich. Es ist vielleicht ein Schuss ins Dunkle, aber so ist das nun mal. Irgendwann treffen wir hoffentlich ins Schwarze. Geben Sie mir Ihre E-Mail Adresse, dann schicke ich Ihnen das Bild umgehend.«
Sie buchstabierte ihre Adresse.
Dann legten sie auf.
Zwei Minuten später klickte sie den Anhang der E-Mail an, die er ihr geschickt hatte. Ein Bild öffnete sich auf dem Bildschirm. Eine lächelnde junge Frau mit etwas zu viel Schminke.
»Jabba the Hutt«, murmelte Gran. »Das ist sie tatsächlich.«
5
A ls sich die gesamte Ermittlungsgruppe um halb drei traf, hatten alle das Gefühl, dass sich im Laufe der letzten Stunden unglaublich viel getan hatte. Der Hauptgrund der Besprechung war die Tatsache, dass sie jetzt endlich wussten, wer die Tote war. Sie hieß Silje Rolfsen, war dreiundzwanzig Jahre alt, wohnte in Oslo und arbeitete in einem Kleiderladen. Sie war Anfang Januar nach Trondheim gereist, um ihren Ex-Freund Jonny Olin zu besuchen. Danach hatte es nur noch diesen einen Anruf vom Bahnhof in Trondheim gegeben. Ihre Freunde in Oslo und ihre Familie, die in Kløfta lebte, waren davon ausgegangen, dass sie die letzten drei Wochen bei diesem Olin verbracht hatte.
»Wir müssen als Erstes herausfinden, ob sie wirklich bei ihm war«, sagte Brattberg und biss in ihren Berliner.
Singsaker hatte nie verstanden, warum eine derart rationale Frau wie Brattberg so wenig auf ihre Ernährung achtete. Wo bei er kaum besser war: sein Frühstück mit Aquavit und Hering war häufig das Nahrhafteste, was er am ganzen Tag zu sich nahm. Aber er war Singsaker und nicht Brattberg, die für ihre strin gente und strukturierte Denkweise in allen Lebensbereichen bekannt war.
Siri Holm, eine Freundin von ihm, die als Bibliothekarin arbeitete, hatte ihm einmal erzählt, dass alle guten Detektive irgendeine Schwäche hatten, die sie vor ihrer Umwelt geheim hielten. Holm hatte das aus den unzähligen Krimis, die sie las, trotzdem war sicher was Wahres an dieser Behauptung. Wäre Brattberg eine Krimiheldin, wären die süßen Versuchungen sicher ihre Achillesferse.
»Ich tippe, dass sie die ganze Zeit über bei ihm gewohnt hat«, sagte Jensen, der als Erster das Wort ergriff. »In der ersten Wo che war noch alles rosarot. Ihre Liebe blühte wieder auf und vergessen waren die blauen Veilchen. Dann ging es bergab, er begann sie wegen Kleinigkeiten anzufahren und gab ihr die eine oder andere Ohrfeige. In der dritten Woche kam es dann zur Krise, bis er irgendwann vollständig den Kopf verlor.«
»Und ihr den Kehlkopf aus dem Hals schnitt und sie mit einer Spieldose auf der Brust in einem Wäldchen mitten in der Stadt ablegt?«, warf Mona Gran ein.
Singsaker sah beeindruckt zu ihr hinüber. Nur er kannte Jensen gut genug, um zu wissen, wie verlegen ihn junge Frauen machten, ohne dass er sich das anmerken ließ. Der Naturfreund, Jäger und Eisbader Jensen war seit Jahren glücklich verheiratet, hatte aber trotzdem Angst vor Frauen. Und auch wenn er mit Gran spaßen und lachen konnte, wusste Singsaker ganz genau, dass sie ihn verunsicherte. Deshalb ahnte er auch, wie nah seinem Freund ihr letzter Kommentar gehen musste. Trotzdem hatte sie recht. Dieser Fall beinhaltete Aspekte, die einfach nicht zu einem Mord im Affekt passten.
»Außerdem ist die Spieldose nicht irgendeine Spieldose«, sagte Singsaker. »Sie ist antik und ein seltenes Stück und wäre sicher eine stolze Summe wert, hätte ihr Besitzer sie nicht manipuliert. Die Musikplatte wurde ausgetauscht und spielt jetzt eine Melodie, ein unbekanntes Wiegenlied, mit dem nicht einmal ein Professor für Musikgeschichte etwas anfangen kann.«
»Wäre es möglich, dass der Täter die Melodie selbst geschrieben hat?«,
Weitere Kostenlose Bücher