Die Melodie des Todes (German Edition)
die Musik. Noch einmal musste er diese Platte durch eine ersetzen, in die er selbst die Stifte geschlagen hatte. Das war eine aufwendige Arbeit. Als er fertig war, räumte er sein Werk zeug weg, die Pinzette, den kleinen Bolzen, das Vergrößerungsglas und den Gummihammer. Alles verschwand in der Küchen schublade. Dann setzte er sich vor die Spieldose an den Küchentisch.
Er streckte sich zufrieden aus und zündete sich eine Zi garette an.
*
Eine Stunde nach seiner Rückkehr ins Präsidium saß Singsaker in seinem Büro und hörte Jensens entschlossenes Klopfen an der Tür. Er wusste, dass er es nicht ignorieren konnte.
»Komm rein!«
Jensen sah müde aus.
»Habt ihr ihn gekriegt?«, fragte Singsaker, als sein Kollege vor ihm am Schreibtisch saß.
»Ich werde immer unsicherer, ob das wirklich unser Mann ist. Seine Geschichte ist ungewöhnlich, aber so langsam glaube ich, dass sie stimmen kann.«
»Und wie lautet seine Geschichte?«
»Dass er schwul ist.«
»Wie bitte?«
»Jonny Olin ist homosexuell. Er hat uns erzählt, dass er das lange geheim gehalten hat und es immer wieder mit Beziehun gen zu Frauen versucht hat. Aber das hat ihn nur frustriert. So erklärt er auch seine gewalttätigen Aussetzer.«
»Die gibt er also zu?«
»Teilweise, wenn er sie auch bagatellisiert. Was Silje Rolfsen angeht, hat er gesagt, dass er mehrere Anläufe gemacht hat, die Beziehung zu beenden, dass sie das aber nicht akzeptieren wollte. Er sagt, sie hätte ihn noch lange, nachdem er Schluss gemacht hatte, aufgesucht und bedrängt, und das hat schließlich zu dem Kurzschluss bei ihm geführt, sie mit dem Messer zu bedrohen.«
»Glaubst du ihm?«
»Ich weiß es nicht. Was wir ihm allerdings glauben müssen, ist, dass er, seit er in Trondheim lebt, zum ersten Mal einen männ lichen Partner hat und dass die beiden die letzte Nacht in der Wohnung des Freundes in Tiller verbracht haben. Gran hat bereits herumtelefoniert, die Geschichte stimmt.«
»Er ist also, mit anderen Worten, nicht unser Mann.«
»Außer er war an zwei Orten gleichzeitig.«
»Was allerdings noch aussteht, ist die Bestätigung der Nach barn oder anderer Zeugen, dass Silje Rolfsen in den letzten Wochen nicht in oder in der Nähe seiner Wohnung gesehen wurde.«
»Verstehe, aber konnte Olin uns mehr über Silje Rolfsen sagen, außer, dass er sie nicht umgebracht hat? Er hat trotz allem mit dem Opfer zusammengewohnt und sollte etwas darüber sagen können, was für eine Frau sie war.«
»Ich habe ihn danach gefragt, aber er konnte mir nicht viel dazu sagen. Sie interessierte sich für Bücher und für Kleider und soll immer nett gewesen sein. Oberflächliches Zeug, das auf Tausende von Mädchen dieses Alters zutrifft. Ich hatte definitiv den Eindruck, dass er sich nie wirklich für sie interessiert hat. Was in gewisser Weise ja zu seiner Aussage passt. Doch, eine Sache war noch interessant. Er hat gesagt, dass sie gerne gesungen hat. Als Kind war sie wohl in einem Chor und er meinte, sie hätte ständig gesungen, im Bad, beim Kochen, ja sogar auf der Straße. Ich hatte das Gefühl, dass ihn ihre Singerei gestört hat.«
»Vielleicht aber nicht genug, um ihr die Stimmbänder rauszuschneiden?«
»Wohl kaum, nein.«
»Trotzdem könnte das irgendwie von Bedeutung sein. Wo wohnt dieser Olin?«, fragte Singsaker.
»Im Skyåsvegen, ganz oben auf dem Kuhaugen.«
»Das heißt, dass man in etwa am Tatort vorbeikommt, wenn man aus der Stadt, sagen wir vom Bahnhof, in seine Richtung geht?«
»Ganz abwegig ist das nicht, nein. Jonny Olin hat uns auch bestätigt, dass Silje Rolfsen ein paar Mal angerufen und mit ihm gesprochen hat, nachdem er zum Studium nach Trond heim gezogen war und um endlich seine Sexualität auszuleben. Dabei hatte sie auch erwähnt, dass sie gern einmal bei ihm vorbeikommen würde. Vielleicht wollte sie ihn überraschen, um eine hoffnungslose Beziehung zu retten, an die sie immer noch glaubte. Olin meinte, sie hätte bei ihm angerufen, als sie in die Stadt gekommen ist, aber er hat nicht abgenommen und weiß nicht mehr genau, wann das war. Er hat uns freiwillig Zugang zu seinen Telefondaten gegeben, damit wir den genauen Zeitpunkt ermitteln können. Gehen wir mal davon aus, sie hat ihn vom Bahnhof aus angerufen, aber keinen Kontakt bekommen. Dann ist sie losgelaufen, und vielleicht hat sie dabei gesun gen und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und unterwegs ist irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Die Frage ist nur, was?«
Jensen
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