Die Melodie des Todes (German Edition)
fragte Gran.
»Diese Möglichkeit sollten wir in Betracht ziehen. Dann hätten wir es mit einer echten Begabung zu tun, denn sowohl der Kurator vom Ringve-Museum als auch Professor Høybråten beschreiben die Musik im höchsten Maße avanciert. Es ist aber ebenso gut möglich, dass es sich um ein bislang unbekanntes Lied aus älteren Zeiten handelt.«
»Warum ein Wiegenlied?«, warf Brattberg fragend ein. »Irgendetwas sagt mir, dass das nicht ohne Bedeutung ist. Vielleicht wollte der Täter das Opfer in den Tod wiegen?«
»Wenn das wirklich ein Wiegenlied ist, liegt dieser Gedanke nahe«, sagte Singsaker. »Wie pervers und bizarr es sich auch anhören mag.«
»Wir machen einen Fehler, wenn wir den Lover außer Acht lassen«, sagte Jensen. »Wir wissen nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Aber in einer Sache habt ihr recht. Dieser Mord ist kein gewöhnlicher Mord. Nachdem Kittelsen mich eine halbe Ewigkeit hat warten lassen, habe ich dann doch noch etwas aus ihm herausgekitzelt.«
»Für einen Tag ist das doch gar keine schlechte Ausbeute«, sagte Singsaker spitz, und alle wussten, dass diese Spitze auf Kittel sen und nicht auf Jensen zielte.
»Er hat sich den Kehlkopf genauer angeschaut«, fuhr Jensen fort. »Und mir gesagt, dass die Stimmbänder entfernt worden sind. Sie sind einfach nicht mehr da.«
»Er hat die Stimmbänder des Opfers mitgenommen?« Singsaker räusperte sich und versuchte, seine eigenen Stimmbänder zu fühlen.
»Sieht so aus, ja.«
»Seht ihr auch die merkwürdige, auf den Kopf gestellte Sym metrie?«, fragte Gran. Ihre Stimme hatte einen positiven Effekt auf die betretene Stimmung im Raum. »Er hat ihr genom men, womit der Mensch Laute erzeugt, und dafür ein In strument auf ihren Leichnam gestellt. Das Ironische an der Sache ist, dass sie durch die Töne der Spieldose gefunden worden ist.«
»Glaubt ihr, dass der Täter das bewusst getan hat?«, fragte Brattberg.
»Kaum«, erwiderte Jensen. »Der Mord geschah mitten in der Nacht. Der Wald war eigentlich ein gutes Versteck, und wenn das Schneetreiben seine Arbeit hätte machen können, wäre die Leiche für lange Zeit versteckt gewesen. Er muss das alles geplant haben.«
»In diesem Fall wäre dem Mörder ein Fehler unterlaufen. Vielleicht war es so wichtig für ihn, diese Melodie zu spielen, dass er sich gar nicht darum gekümmert hat, dass sie ihn verraten könnte.«
Niemand hatte etwas gegen Brattbergs Theorie einzu wenden.
»Ich denke, wir sollten diese Spekulationen noch eine Weile aufschieben«, fuhr sie fort. »Fangen wir mit dem Konkretesten an. Wir wissen, dass Silje Rolfsen vor weniger als drei Wochen nach Trondheim gekommen ist, um ihren früheren Geliebten, Jonny Olin, zu treffen. Das ist unser Ansatzpunkt.«
Spieldosen und fehlende Stimmbänder waren für einen Mord ungewöhnliche Ingredienzen. Im Gegensatz zu gewalttätigen Lovern, dachte Singsaker.
Singsaker wäre gern mit zu Jonny Olin gefahren, aber er hatte einen Termin, den er nicht ausfallen lassen konnte, weshalb er die Erstbefragung Jensen und Gran überlassen musste. Er selbst setzte sich nach der Besprechung in aller Eile in sein Auto und fuhr ins St.-Olavs-Hospital. Er kam zehn Minuten zu spät zu seinem Termin mit Dr. Nordraak.
Der eigentliche Gedächtnistest verlief gut. Dr. Nordraak war eigens aus dem Østmarka-Krankenhaus gekommen, um diese Tests persönlich durchzuführen, die unter eines seiner Spezialgebiete fielen. Für gewöhnlich befasste er sich mit Psychosen in Verbindung mit Drogenkonsum. Er war so blasiert und arrogant wie immer, hatte sich aber nicht weiter über Sing sakers übliche Verspätung beschwert.
Jetzt wollten sie die Resultate durchgehen.
»Sie sind auf dem Weg der Besserung«, sagte Nordraak und lehnte sich in seinem einfachen Bürostuhl zurück. Irgendwie wirkte er zu groß und gewichtig für das kleine Arztzimmer. Singsaker war nie in Nordraaks Büro im Østmarka-Krankenhaus gewesen, hatte aber Gerüchte von Antilopenköpfen an den Wänden gehört.
»Und das heißt?«
»Dass es noch immer hin und wieder passieren kann, dass Sie gewissen Details vergessen, kurzzeitig die Konzentration verlieren und Ihre Gedanken, wie Sie es beschrieben haben, abschweifen. Aber alles innerhalb des normalen Rahmens.«
»Wir stehen am Anfang einer komplizierten Ermittlung.«
»Dann freuen Sie sich, dass Sie nicht allein ermitteln müssen. Sie werden aber ohne Zweifel Ihren Teil dazu beitragen. Sie wissen, dass die Symptome, über die wir
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