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Die Melodie des Todes (German Edition)

Die Melodie des Todes (German Edition)

Titel: Die Melodie des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørgen Brekke
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ließ den Satz in der Luft hängen, und Singsaker vollendete seinen Gedankengang.
    »Wo ist sie in den drei Wochen vor dem Mord gewesen?«
    Schon mit dem Aussprechen dieser Frage war Singsaker klar, dass es nur wenige angenehme Antworten darauf gab.
    *
    Im Innern seines Schädels lebte eine Fliege, ein penetrantes, kleines Insekt, das mit seinen winzigen Insektenbeinen darin herumtrippelte. Doch jetzt war es zur Ruhe gekommen. War es tot? Für immer?
    Die Stimmbänder hatte er aufgehoben und in ein Glas mit Spiritus gelegt, das vor ihm auf dem Tisch stand. Sein Blick ruhte auf den rosa Häutchen am Boden des Glases. Sie sahen aus wie ein unbekanntes Meerestier, eine Tiefseekoralle. Manchmal bildete er sich ein, dass sie sich bewegten, als wollten sie singen. Er konnte einfach nicht verstehen, dass ihr Gesang nicht der gewesen war, auf den er gehofft hatte. Er blieb sitzen und dachte an seine Frau. Sie schlief zurzeit so gut. Ein Schlaf, um den er sie beneidete. Ob er jemals wieder so schlafen würde?
    Als seine Zigarette heruntergebrannt war, zündete er sich eine neue an und las auf der Packung: »Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit.«

T EIL 2

6
    Trondheim, 1767
    F liegen.
    Davon gab es in diesem Sommer viel zu viele. Sie krochen und surrten überall herum, auf den Händen, im Gesicht, in den Ohren. Sogar bis in seine Träume drangen sie vor. Einmal hatte er in einem Traum eine ganze Mahlzeit aus Fliegen verspeist. An diesem viel zu frühen Morgen dauerte es eine Ewigkeit, bis Polizeimeister Nils Bayer registrierte, dass er nicht träumte. Er schlug nach der Fliege auf seiner Nase und fing sie in der Hand.
    Er war am Abend zuvor zu lange im Wirtshaus geblie ben und hatte viel zu viel getrunken, und obwohl er sich wie üblich vor dem Schlafen von allem erleichtert hatte, was er an Speis und Trank zu sich genommen hatte, war er keineswegs bereit, die Nacht vor dem ersten Hahnenschrei zu beenden. Sein Rücken und alle Glieder schmerzten, als wäre er auf allen vieren und unter Stockhieben aus der Schenke nach Hause gekrochen. Er zündete die Öllampe auf seinem Nacht tisch an. Benommen, wie er war, erschien ihm das blasse Gesicht, das sich über sein Bett beugte, wie das Antlitz eines Geistes.
    Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, richtete sich auf und legte beide Hände auf seine gewaltige Leibesmitte. Der Höllenhund, der darin hauste, erwachte und knurrte be drohlich. Er rülpste laut und richtete einen entschlossenen Blick auf den Wächter, der in sein Zimmer gestürmt war und ihn so rücksichtslos geweckt hatte.
    »Reiß dich zusammen, Bursche, du siehst ja aus, als wäre dir der Leibhaftige persönlich begegnet«, sagte er.
    Der Wächter, ein schmächtiges Bürschchen mit Fistelstimme, war viel zu hasenfüßig für seine Stellung, aber so leichenblass wie jetzt hatte Polizeimeister Nils Bayer ihn nur selten gesehen.
    »Den Leibhaftigen habe ich nicht gesehen«, stotterte der Junge. »Aber sein Werk.«
    »Des Leibhaftigen Werk?«, fragte der Polizeimeister. »Kann der Teufel nicht zu christlicheren Zeiten arbeiten?«
    Als Nils Bayer aus dem Bett stieg, fiel sein Blick auf das Erbrochene auf seinem Nachthemd.
    »Warte unten. Ich komme«, sagte er. »Ja, raus mit dir. Sic volo, sic jubeo! Was ist das für ein Wächter, der nicht den Mumm hat, nachts allein in der Gasse zu warten?«
    Nachdem der Wächter ihn wiederstrebend verlassen hatte, zog Bayer den Nachttopf unter dem Bett hervor und erbrach sich. Es kam nur noch grüne Galle. Dann zog er sich das Nachthemd aus und kleidete sich an. Er ließ den Umhang hängen und ging nur in Hemd und Weste nach draußen. Seinen neuen Stock umklammerte er fest. Der Schmuckknauf mit dem persönlichen Emblem des Trondheimer Polizeimeisters – eine Hand mit dem Stadtwappen – war erst vor wenigen Wochen gegossen und geschmiedet worden.
    Es war Juni und die Sonne erwachte vor den Hähnen. Der morgendliche Dunst, der noch in den Straßen lag, verhüllte das Zuchthaus am Kalveskinnet, von dem nur schemenhafte Konturen zu erkennen waren. Das blaue, zögerliche Licht der Morgensonne fiel auf die Torfdächer von Skansen. Direkt vor der Tür wartete der junge Wächter, der in dem anbrechenden Licht immer noch eher wie ein Toter aussah.
    »Zeig mir den Weg, junger Mann!«, brummte Nils Bayer und kratzte sich unter der engen Weste am Bauch.
    »Aber wünscht der Polizeimeister nicht …« stotterte der Wächter.
    »Wünscht der Polizeimeister was?«, unterbrach Bayer ihn

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