Die Melodie des Todes (German Edition)
im Keller ging er zu dem Verschlag, in dem das Tier eingesperrt war. Er verstummte, als die Tür aufging, zog den Schwanz ein und drückte sich in eine Ecke. Er trat so lange auf den Hund ein, bis er leblos am Boden lag. Er beugte sich hinunter und stellte fest, dass das Tier noch atmete, dann ging er nach draußen und kniete sich auf die Matratze, die noch vor ihrem Verschlag lag. Jetzt war alles still. Durch die Tür war nur der schwere Atem seines neuen, geknebelten Singvögelchens zu hören, und er fragte sich, ob sie mitbekommen hatte, was er mit ihrem Hund gemacht hatte.
Mit zitternden Fingern nahm er die Spieldose vom Boden neben der Matratze und zog sie langsam auf. Als die Feder gespannt war, stellte er sie zurück und lauschte. Eine traurige, metallische Melodie erfüllte den Keller. Da war es, sein Wiegenlied, schön wie eh und je. Tränen liefen über seine Wangen. Er blieb sitzen und starrte auf den sich drehenden Sänger in dem weißen Frack, bis er zur Ruhe gekommen war. Dann nahm er die Spieldose noch einmal vom Boden auf. Genug für heute, wir können es uns später noch einmal anhören, dachte er und stand auf. Er räusperte sich, um seine Stimme zu säubern. Ich sollte etwas zu ihr sagen, entschloss er sich und räusperte sich noch einmal.
»Guten Morgen«, sagte er. Nur diese zwei Worte. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand über die Kellertreppe nach oben.
11
H ätte die Frau nicht aufrecht gestanden, hätte er sie für tot gehalten. Aber dann begann sie zu sprechen: »Danke, dass Sie gekommen sind.«
Elise Edvardsen starrte Hauptkommissar Singsaker mit leerem Blick an und schwankte bedrohlich. Einen Moment lang fürchtete er, sie könne umkippen. Singsaker wusste nicht mehr über sie, als dass sie als Aerobiclehrerin arbeitete, mit einem Optiker verheiratet war und in einem Haus mit großem Garten und altem Baumbestand, der neugierige Blicke abhielt, am Ende des Markvegen wohnte.
Statt zusammenzubrechen, riss sie sich am Riemen, trat einen Schritt zur Seite und ließ die beiden Polizisten herein. Singsaker ging vor, Mona Gran folgte.
Ihr Ehemann, Ivar Edvardsen, saß bereits auf einem Ses sel im Wohnzimmer. Er war ein kleiner, rundlicher Mann, der erschöpft aussah. Obwohl Singsaker die Erschöpfung nach vollziehen konnte, vermutete er, dass der Mann immer so aussah.
Die beiden Polizisten nahmen auf dem Sofa Platz, nachdem beide ihn per Handschlag begrüßt hatten. Er sagte kein Wort, erwiderte aber nickend ihren Gruß.
»Etwas zu trinken?«, fragte Elise Edvardsen, die sich noch nicht gesetzt hatte. »Kaffee?«
Die beiden lehnten dankend ab. Ihr Mann hielt bereits eine Tasse in der Hand. Singsaker hätte wetten können, dass der Kaffee darin längst kalt geworden war.
Elise Edvardsen setzte sich in den freien Sessel.
»Vielleicht ist es das Beste, alles noch einmal von Anfang an durchzugehen«, sagte Singsaker und nahm sein Notizbuch her aus. Beide Eltern sahen ihn an, als verstünden sie nicht, auf was er hinauswollte.
»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?«
»Julie?«, fragte die Mutter abwesend.
»Ja, Julie«, sagte Singsaker geduldig.
»Das haben wir doch alles schon der Polizei gesagt«, meldete sich der Vater erstmals zu Wort. Seine Stimme war für den rund lichen Körper erstaunlich dünn.
»Tut uns leid«, sagte Mona Gran. »Am Anfang einer Ermittlung gibt es häufig Wiederholungen. Es ist wichtig für uns, es noch einmal mit ihren eigenen Worten zu hören, weil die Verantwortung für den Fall von jetzt an bei uns liegt.«
Singsaker nickte anerkennend. Die direkte und gefühlvolle Art seiner jungen Kollegin gefiel ihm, sie würde sicher eine richtig gute Ermittlerin werden.
Die beiden Eheleute sahen sich an. Vielleicht kommunizierten sie ja ohne Worte, was bei manchen Menschen so war, die schon lange zusammen lebten. Singsaker und Anikken hatten sich mitunter auch wortlos verständigt, bis seine Ex-Frau ihn für einen Klempner verlassen hatte. Singsaker hatte ihr verziehen, als sie es später bereute, war seinen Weg aber weiter gegangen. Er vermisste weniger sie als Person als die Vertrautheit zwischen ihnen, und er fragte sich manchmal, wie lange es wohl dauern würde, bis Felicia und er sich so gut kannten. Und ob sie sich jemals so gut kennenlernen würden.
»Ich habe ihr kurz vor halb elf Gute Nacht gesagt und bin dann ins Bett gegangen«, sagte Ivar Edvardsen. »Meine Frau hat noch mit ihr geredet, bis Julie dann mit dem Hund rausgegangen
Weitere Kostenlose Bücher