Die Melodie des Todes (German Edition)
ist, danach ist auch sie ins Bett gegangen. Da war Julie noch nicht wieder da.«
Singsaker sah zu Elise Edvardsen und ließ dann den Blick durch den Raum wandern, bis die Stimmen nur noch ein Hintergrundgeräusch waren. Er registrierte nur peripher, dass Gran Routinefragen stellte.
An der Wand hinter Ivar Edvardsen hing ein Hochzeitsfoto des Paars. Die junge Braut in Weiß, der Bräutigam in Schwarz, wie es sich gehörte. Sie blickten zufrieden in die Kamera und schienen voll und ganz auf ihr Glück zu vertrauen. Singsaker dachte an das rote Kleid, das Felicia bei ihrer Hochzeit getragen hatte. Nur sie beide und die Trauzeugen, Siri Holm und Thorvald Jensen, waren im Standesamt gewesen. Die Eile und Vernebeltheit der Liebe. Irgendwie kam ihm seine zweite Hoch zeit immer vor wie ein zu schnell abgespielter Super-8-Film. Hatten sie das Ganze überstürzt? Andererseits sah er keine andere Lösung, wenn aus ihrer Beziehung wirklich etwas werden sollte. Und sie waren die Richtigen füreinander, an dieser Tatsache zweifelte er keine Sekunde. Felicia und er und eine Unmenge Zeit und Platz. Besser ging’s nicht. Und genau deshalb störte ihn die Eile und überstürzte Heirat.
»Ich denke, das reicht uns fürs Erste, nicht wahr, Singsaker?«, hörte er Gran in weiter Ferne sagen und war damit schlagartig wieder zurück in der Wirklichkeit.
Konzentrationsschwächen nannte sein Arzt das, und dass er lernen müsse, damit zu leben. Dabei kam es in seinem Beruf wohl eher darauf an, Schwächen wie diese zu verbergen. Als Polizist musste man sich konzentrieren. Bisher war ihm das Ver steckspiel recht gut gelungen.
»Ja, es könnte aber sein, dass wir wegen des einen oder anderen Details noch einmal auf Sie zukommen müssen«, sagte er, ohne eine Ahnung zu haben, worüber sie geredet hatten. Er ging auf volles Risiko und stellte Frau Edvardsen eine Frage:
»Wie würden Sie Ihre Tochter beschreiben?«, fragte er.
Es wurde still. Sie sah von Singsaker zu ihrem Mann. Singsaker fürchtete einen Moment lang, ins Fettnäpfchen getreten zu sein, weil sie das längst besprochen hatten. Doch dann öffnete sie den Mund.
»Tja, was soll ich über sie sagen?«, begann sie und heftete ihren Blick an die Wand über dem Kopf ihres Mannes.
»Sie war ein sehr talentiertes Mädchen«, sagte Ivar Edvardsen.
»Ach, halt den Mund, Ivar!« Ihr Ausbruch schien ihn nicht sonderlich zu überraschen. »Julie ist verschwunden. Diese Men schen sind nicht hier, um sich anzuhören, wie schön sie gesungen hat oder wie viele Bälle sie im letzten Handballspiel gehalten hat.«
»Das weiß ich doch, Elise«, sagte ihr Mann mit gedämpfter Indignation.
Gran meldete sich zu Wort und brachte das Gespräch wieder auf die richtige Spur: »Also, wie würden Sie sie beschreiben? Ganz ehrlich.«
»Ganz ehrlich? Nun, sie war eine Teenagerin mit großem T. Ich bin in der letzten Zeit nicht gut mit ihr zurechtgekommen.«
»Verstehe, viel Türenknallen?«, fragte Gran.
»Was ich am wenigsten ertrage, ist ihre Irrationalität, dabei weiß ich, dass ich mehr Geduld mit ihr haben sollte.« An dieser Stelle sah sie zu ihrem Mann hinüber, der matt lächelte.
»Hat sie einen Freund?«, fragte Gran.
»Nein«, antwortete Ivar Edvardsen entschieden. Seine Frau korrigierte ihn aber sofort.
»Wir wissen doch gar nicht sicher, ob sie wirklich Schluss gemacht haben.«
»Dann hatte sie also einen Freund?« Singsaker übernahm wieder.
»Fredrik heißt er. Sie haben sicher schon zehnmal Schluss gemacht. Wir wissen nie, wann sie zusammen sind und wann wieder nicht.«
»Und wer von den beiden macht da jedes Mal Schluss?«, wollte Singsaker wissen.
»Was glauben Sie denn? Sie dürfen mich nicht missverstehen. Ich habe meine Tochter sehr, sehr lieb. Und sollte ihr etwas zugestoßen sein, weiß ich nicht …« Elise Edvardsen hielt eine Hand vor den Mund, bevor sie weiterredete. »Julie ist nicht gerade einfach. Und launisch. Der arme Fredrik hat mir ein paar Mal wirklich leidgetan, auch wenn ich ihn nicht wirklich mag, viel zu brav und unterwürfig für ein Mädchen wie Julie.«
»Haben Sie ihr gesagt, was Sie von ihrem Freund halten?«
»Nein, wir können momentan nicht miteinander reden. In den letzten Wochen haben wir immer nur gestritten, meist über blöde Kleinigkeiten.«
»Was zum Beispiel?«
»Ach, Nichtigkeiten. Meistens über Kleider. Julie hat ein paar Größen zugelegt und sich Unmengen Zeug gekauft, dabei hatte sie das Geld eigentlich für ein Moped
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