Die Melodie des Todes (German Edition)
den dunklen Fjord. Er fischte einen Flachmann aus der Westentasche, nahm einen kräftigen Schluck und bot auch dem Arzt etwas an, wobei sein Blick zu sagen schien bibamus, moriendum est . Fredrici legte aggressiv beide Hände um die Flasche, als wäre sie Nils Bayers Kehle, leerte sie in zwei großen Schlucken und schnaubte: »Es hat den Anschein, als wäre meine Anwesenheit bei dieser Leichenbeschau im höchsten Grade überflüssig.«
»Aber nicht doch, verehrter Herr Staatsphysikus Fredrici. Im Gegenteil. Es war für mich sehr lehrreich. Ich hoffe allerdings, dass Ihr auf Euer Honorar verzichten könnt, zumindest, bis die Zeiten wieder besser sind. Ihr wisst ja, wie begrenzt meine Mittel als Polizeimeister der Stadt sind. Die dreihundert Reichstaler im Jahr reichen knapp für die Kosten der Dienststelle und meiner Bleibe und die Entlohnung meiner beiden Bediensteten. Und berücksichtigt man die zunehmenden Vergehen durch die immer zahlreicher in die Stadt strömenden Händler und Glückssucher … Nun, Ihr versteht sicher, in welcher Lage ich mich befinde. Und da ich Euch als Edelmann kenne, der bei Seuchengefahr sogar auf eigene Kosten Medizin für die Bedürftigen kauft, hoffe ich, dass Ihr Euch auch in diesem Fall, um Eurer eigenen Ehre willen, für das Wohl der Stadt entscheidet.«
»Ihr seid wahrlich nicht auf den Mund gefallen«, sagte der Staatsphysikus kurz.
Dann reichte er Nils Bayer den Flachmann und verabschiedete sich, ohne noch einmal auf das Honorar zu sprechen zu kommen.
Bayer wusste, dass er zu weit gegangen war. Der Staatsphysi kus hatte selbst Probleme und war häufig viel zu weichherzig, wenn es um die Einforderung seines verdienten Honorars ging, besonders bei den Ärmsten der Armen. Er überlegte sogar, sein Landgut draußen bei Steinan zu verkaufen und sich für immer in der schweren Stadtluft niederzulassen. Nils Bayer wusste, wo die Grenzen der Höflichkeit verliefen und wann er sie verletzt hatte. Aber der Staatsphysikus würde ihm schnell verzeihen und sicher nie wieder auf das Honorar zu sprechen kommen. Aber nicht deshalb rebellierte Bayers Bauch. Er forderte etwas zu essen und zu trinken, vermutlich in erster Linie Letzteres. Er ergriff seinen Stock und nahm Kurs auf die Gasthäuser Ilas. Vielleicht gab es im Hoppa ja bereits Frühstück.
Das Hoppa war ihm lieber als alle anderen Schankstuben Trond heims, denn es gab dort etwas, was nirgends sonst zu finden war, und das war Ingrid Smeddatter. Ihr Vater war vor langer Zeit mit seiner Frau bei einem Feuer im Haus ums Leben ge kommen. Ingrid war damals bei einem Nachbarn gewesen. Da nach hatte ein Vetter der Familie, der das Hoppa führte, das Mäd chen zu sich genommen. Die Tochter des Schmieds war das Beste, was dem Gasthaus hatte passieren können, denn als sie begann, das Bier zu servieren, hatte der Verkauf spürbar angezogen. Ingrid hatte alles, was nötig war, um die Männer anzuziehen, ebenso aber auch alles, was es brauchte, um sie vor die Tür zu setzen, wenn sie zu aufdringlich wurden. Außerdem wusste sie immer eine Geschichte zu erzählen, wahr oder nicht.
Das Hoppa hatte alles in allem fünf Tische, die dafür aber so groß waren, dass viele Leute daran Platz fanden. Auch deshalb hatten sich hier die Würfelspieler versammelt, bis der Polizeimeister persönlich das Lokal zu frequentieren begann. Jetzt am Morgen war noch niemand da. Bayer setzte sich enttäuscht an den hintersten Tisch und sah sich in dem leeren Raum um. Dann fischte er seine Pfeife und einen Tabaksbeutel aus der anderen Westentasche, in der nicht der Flachmann steckte. Er stopfte sie, ging zur Feuerstelle, grub ein Holzscheit aus, das noch vom Vorabend glühte, und zündete sie an. Gemächlich schlenderte er zurück und setzte sich. Er war in vielerlei Hinsicht ein ungeduldiger Mann, aber wenn er im Hoppa war, ließ er sich das nicht anmerken. Das war Ingrids Verdienst.
Nach einer halben Stunde hörte er über sich jemanden laufen. Die Deckenklappe wurde geöffnet und eine Leiter unweit von ihm nach unten geschoben. Kurz darauf kamen Ingrids Rockschöße zum Vorschein.
Er blieb ganz ruhig sitzen und blies Rauchringe in die Luft. Ingrid bewegte sich langsamer, als er es gewohnt war. Sie kletterte vorsichtig mit den Füßen tastend die Treppe herunter, als möge sie sich noch nicht von den nächtlichen Träumen verabschieden, schließlich warteten unten nur les douleurs du monde . Er wusste, dass sie keine Veränderungen mochte. Vielleicht war dieses
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