Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
Als er die Römer angriff, waren seine Truppen die tapfersten der Welt und trieben alle vor sich her; dann legten sie sich in irgendeiner Stadt ins Quartier und ergaben sich so sehr den Schwelgereien
und Genüssen des Lebens, dass sie beim nächsten Feldzug leicht zu schlagen waren. 461 So stand es nun auch um mich. Meine geistige und körperliche Kraft waren nicht mehr die des tapferen Jünglings, der mit fünfzehn seinen ersten Mann erschoss und in den sechs folgenden Jahren anderthalb Dutzend Schlachten bestritt. Jetzt, im Fleet-Gefängnis, 462 wo ich dies schreibe, gibt es einen kleinen Mann, der mir dauernd Grimassen schneidet, mich verhöhnt und zum Kampf herausfordert, und ich habe nicht den Mut, ihn anzurühren. Aber ich nehme die düsteren, elenden Vorgänge der Geschichte meiner Erniedrigung vorweg und sollte lieber bei der Abfolge der Ereignisse bleiben.
Ich quartierte mich in einem Kaffeehaus nahe Gray’s Inn ein, teilte Mr Tapewell mit Bedacht meinen Aufenthaltsort mit und wartete besorgt auf seinen Besuch. Er kam und brachte mir die von Lady Lyndons Freunden festgesetzten Bedingungen – eine kümmerliche Jahresrente von dreihundert Pfund, zahlbar unter der Voraussetzung, dass ich außerhalb der drei Königreiche verweilte, und falls ich zurückkehrte, würde die Zahlung sofort eingestellt. Er sagte mir, was ich sehr wohl wusste, dass mich nämlich ein längerer Aufenthalt in London unfehlbar
in der Kerker brächte, dass hier und in Englands Westen unzählige Zahlungsbefehle gegen mich vorlägen, dass ich meinen Kredit so weit überzogen hätte, dass ich nicht hoffen konnte, auch nur einen Shilling aufzutreiben; er gab mir eine Nacht, seinen Vorschlag zu bedenken, und sagte, wenn ich ihn ablehnte, werde die Familie gegen mich vorgehen; wenn ich ihn annähme, werde man mir in jedem von mir genannten fremden Hafen eine Quartalssumme auszahlen.
Was sollte der arme, einsame Mann mit dem gebrochenen Herzen tun? Ich akzeptierte die Jahresrente und wurde im Lauf der nächsten Woche für vogelfrei erklärt. Der Schurke Quin war, wie ich herausfand, schließlich doch der Urheber meines Untergangs geworden. Er hatte den Plan ausgeheckt, mit dem ich nach London gelockt wurde, und mit einem Siegel, auf das er und die Gräfin sich zuvor geeinigt hatten, den Brief des Anwalts versiegelt; eigentlich hatte er von Anfang an vorgeschlagen, diesen Plan zu verfolgen, aber Mylady hatte mit ihrem unerhörten Hang zur Romantik das Ausbruchsvorhaben vorgezogen. Über diese Fragen schrieb meine Mutter mir einiges in mein einsames Exil und bot zugleich an, zu mir zu kommen
und die Verbannung zu teilen, was ichaber ablehnte. Sie verließ Castle Lyndon sehr bald, nachdem ich abgereist war, und Stille herrschte in dem Haus, wo unter meiner Leitung so viel Gastlichkeit und Pracht geherrscht hatte. Sie meinte, sie werde mich nie wiedersehen, und machte mir bittere Vorwürfe, dass ich sie vernachlässigte; hierin und in ihrer Einschätzung meines Wesens irrte sie sich jedoch. Sie ist sehr alt und sitzt in diesem Moment tätig 463 neben mir im Gefängnis; sie hat ein Zimmer gegenüber im Fleet-Markt, und mit ihrer Jahresrente von fünfzig Pfund, die sie in weiser Voraussicht bewahrt hat, gelingt es uns, ein jämmerliches Dasein zu fristen – gänzlich unwürdig des berühmten, eleganten Barry Lyndon.
Mr Barry Lyndons persönlicher Bericht endet hier, denn die Hand des Todes unterbrach den einfallsreichen Autor, der achtzehn Jahre als Insasse des Fleet-Gefängnisses gelebt hatte, wo er den Gefängnislisten zufolge an Delirium tremens starb, kurz nach dem Zeitpunkt, da er seine Erinnerungen zusammengetragen hatte. Seine Mutter erreichte ein erstaunliches Alter, und die seinerzeitigen Insassen können sich noch genau an die täglichen Streitereien erinnern,
die zwischen Mutter und Sohn stattfanden, bis dieser infolge seiner gewohnheitsmäßigen Berauschtheit in einen Zustand nahezu vollständiger Verblödung verfiel, von seiner zähen alten Mutter fast wie ein Kleinkind gepflegt wurde und weinte, wenn man ihm das notwendige Glas Branntwein vorenthielt.
Sein Leben auf dem Kontinent können wir nicht genau nachvollziehen, doch scheint er seine frühere Profession als Spieler wiederaufgenommen zu haben, jedoch ohne den früheren Erfolg.
Nach einiger Zeit kehrte er heimlich nach England zurück und bemühte sich vergeblich, von Lord George Poynings Geld zu erpressen, indem er drohte, dessen Korrespondenz mit Lady Lyndon zu
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