Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
der irische Besitz ist in winzigen Parzellen an die Landbewohner verpachtet, die den Fremden immer noch mit Geschichten vom Wagemut, den Teufeleien, der Verruchtheit und dem Sturz des Barry Lyndon unterhalten.
Nachwort
Das seltsame Ritual, bedeutende Künstler und Schriftsteller nicht einzeln zu feiern, sondern im Doppelbild, gleichsam als Dioskuren, die unauflöslich zusammengehören und zweifachen Besitz bedeuten, entstand im 19. Jahrhundert. In Deutschland nahm es seinen Ausgang von den Klassikern Goethe & Schiller, modellhaft vereinigt im Weimarer Denkmal von Ernst Rietschel, und lebt von da fort ins 20. Jahrhundert, etwa zu den Schweizer Schriftstellern Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, die man gern als Dioskuren feierte, obwohl sie fast in jeder Hinsicht Antagonisten waren. Doch gibt es neben dem Dioskurenmodell auch eine andere, spannungsvolle, ja feindliche Variante, die das Unterschiedliche zwischen großen Künstlern betont und sie gegeneinander ausspielt – so erging es den Komponisten Richard Wagner und Johannes Brahms, den Schriftstellerbrüdern Heinrich und Thomas Mann. Dieser Gegensatz ist keine deutsche Spezialität. In Russland spalteten sich am Ende des 19. Jahrhunderts die
Anhänger von Tolstoi und Dostojewski in rivalisierende Gruppen, voll ideologischer Implikationen, fast im Sinne eines Schismas, das später in George Steiners Buch Tolstoi oder Dostojewski noch eine metaphysische Überhöhung erfuhr.
Auch in England war man nicht frei von der Neigung, Künstler zu Paaren zu treiben und dabei mehr die Gegensätze als die Gemeinsamkeiten zu betonen. Als Charles Dickens, Englands größter Romancier des 19. Jahrhunderts, auf der Höhe seines Ruhmes stand, erwuchs ihm in William Makepeace Thackeray ein glänzender Gegenspieler, der aber, selbst wenn er es gewollt hätte, sich kaum gegen diese Rolle hätte wehren können. Sie wurde ihm nachgerade aufgedrängt. Dabei waren die beiden Autoren einander zunächst kollegial verbunden gewesen. Thackeray fand Dickens’ Bücher anfangs zwar «abscheulich grob», aber auf Dauer konnte er sich der Macht von dessen Persönlichkeit und der menschlichen Kraft seiner Kunst nicht entziehen. Unter dem Eindruck des berühmten Christmas Carol schrieb er 1844: «GOTT SEGNE IHN! Welch ein Gefühl muss es für einen Schriftsteller sein, seine Leser zu begeistern, und welch eine Belohnung für ihn, wenn er sein Werk erfolgreich sieht.» Als aber 1847/48
sein eigener Roman Vanity Fair (Jahrmarkt der Eitelkeit) , bis heute sein berühmtester, in Fortsetzungen erschien, begann sich die Lesergunst zwischen Dickens und Thackeray zu teilen, und wenn Dickens auch weiterhin den größeren populären Ruhm genoss, so gaben die meisten anspruchsvollen Kritiker doch den satirischen Büchern Thackerays den Vorzug, rühmten ihn als den feineren, raffinierteren Künstler. Das blieb ein Leitmotiv in den folgenden Jahrzehnten, kaum eine Literaturgeschichte verzichtete darauf, diesen Gegensatz zweier großer Autoren zu betonen und auszumalen. Gut hundert Jahre nach Thackerays Tod notierte Julien Green im Tagebuch: «Dickens besaß mehr Genie und einen tieferen Sinn für Poesie, doch Thackeray war intelligenter und bei Weitem höhnischer.» Und noch ein großer Zeitungsessay zu Thackerays zweihundertstem Geburtstag 2011 zitierte den Autor von Jahrmarkt der Eitelkeit gleich zu Anfang mit den Worten: «Dickens weiß, dass meine Bücher Proteste gegen die seinen sind und dass, wenn einer von uns beiden recht hat, der andere unrecht haben muss.»
Von Dickens ist allgemein bekannt, dass er eine schwierige Kindheit hatte, doch schrieb sein Biograf Hans-Dieter Gelfert zu Recht, dass
er im Vergleich mit Thackeray «trotz seines traumatischen Kindheitserlebnisses ein Glückspilz»war. 1811 in Kalkutta geboren, stammte Thackeray aus einer privilegierten Familie, war Sohn eines Beamten der Ostindischen Handelskompanie und genoss die Vorzüge einer elitären Erziehung, was ihn nicht hinderte, Schule und Internat inbrünstig zu hassen. Mit vier Jahren verlor er den Vater, mit zwanzig das ererbte väterliche Vermögen, teils durch eine Bankenkrise, teils durch den Bankrott einer Zeitung, an der er Anteile hielt, einen weiteren Teil büßte er am Spieltisch ein, denn die Leidenschaft für das Glücksspiel teilte er in frühen Jahren mit seinem Romanhelden Barry Lyndon. Nachdem er sich als Journalist und Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften etabliert hatte, heiratete er 1836 eine irische
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