Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
eingesponnen in eine weitverzweigte Korrespondenz. Stoney, ein bankrotter Leutnant
auf halbem Sold, der für sie bereits ein Duell ausgefochten hatte, brachte die junge Witwe dazu, ihn zu heiraten, und verband in der Folge ihren Namen mit dem seinen, ganz ähnlich wie Thackerays Romanheld, der als Redmond Barry beginnt und später zu Barry Lyndon wird. Er wurde Mitglied des Parlaments, führte ein verschwenderisches Leben, behandelte seine Frau mit exzessiver Grausamkeit, entführte sie, als sie vor ihm geflüchtet war, um schließlich, als die Ehe endlich geschieden war, seine Tage im Schuldgefängnis zu beschließen. Die Ähnlichkeiten mit Barry Lyndon sind so zahlreich und betreffen so viele Einzelheiten, dass sie sich kaum übersehen lassen. Streiche, wie Barry sie dem Privatlehrer seines Sohnes spielt, spielte Stoney-Bowes seinem Geistlichen, wie Barry fällte er das gesamte Bauholz auf dem Schloss seiner Frau, um es verlustreich zu verkaufen. Die Geschichte dieser Ehe, durch die die Gräfin als «unhappy countess» in die Annalen einging, wird sogar kurz in dem ihr gewidmeten Artikel des Dictionary of National Biography erzählt. Ausführlich dargelegt wurde sie bereits in dem Buch The Lives of Andrew Robinson Bowes, Esq., and The Countess of Strathmore , das 1810 erschien und das Thackeray höchstwahrscheinlich gekannt
hat. In seiner Pariser Zeit lernte er, nach dem Zeugnis seiner Tochter, einen Enkel von Stoney Bowes kennen, «der ihm diese Geschichte mit ihren oft unglaublichen Einzelheiten zuerst so authentisch erzählte, als würden zeitgenössische Papiere zitiert».
Der Roman enthält in seiner endgültigen Fassung neunzehn Kapitel: Die ersten drei beschreiben Barry Redmonds irische Jugendgeschichte, die folgenden zehn seine Abenteuer auf dem Kontinent, die letzten sechs den amourösen Feldzug gegen Lady Lyndon und die Rückkehr Barrys, nun unter seinem neuen Namen, nach England und Irland. Dass es sich um einen Lebensbericht handelt, der im Rückblick erzählt wird, begreift der Leser nach wenigen Seiten, ohne doch Anhaltspunkte dafür zu haben, wann, wo und unter welchen Umständen dieser Bericht geschrieben wird, und auch später erhält er nur flüchtige Hinweise. Erst am Anfang des zehnten Kapitels wird deutlich, dass der Erzähler seinem baldigen Tod entgegensieht: «Ich habe zwei oder drei Wunden am Leib, die hin und wieder aufbrechen und mir unerträgliche Schmerzen verursachen, außerdem kündigen noch hundert weitere Vorzeichen meinen Zusammenbruch an.» Man kann sich an Casanova
erinnert fühlen, der auf Schloss Dux seine amourösen, viele tausend Seiten umfassenden Erinnerungen zu Papier brachte und dabei nur sehr selten durchscheinen ließ, dass er ein alter Mann war, ohne Haare und Zähne, mit brüchiger Stimme und magerem Hals. Barry Lyndons Bericht fließt schnell und kraftvoll dahin, nur selten durch Einschübe unterbrochen: etwa die Geschichte des sächsischen Pfarramtskandidaten im sechsten Kapitel, die Barrys eigene Jugendgeschichte wie im Zeitraffer spiegelt, versetzt ins pietistische Milieu Deutschlands und gewürzt mit allerlei Namenskomik; oder die Geschichte der Prinzessin von X., die als großartig tragische Novelle das ganze zwölfte Kapitel ausfüllt. Sie spielt am württembergischen Hof (der in der Zweitfassung des Romans mit dem Kürzel X. verschlüsselt ist, obwohl in der Erstfassung noch W wie Württemberg steht) und wurde laut Thackerays Notizbuch durch eine Lektüre angeregt: «4. Januar 1844. Las in einem dummen Buch namens L’Empire eine gute Geschichte über die erste Frau des Königs von Württemberg; getötet von ihrem Mann wegen Ehebruch.» Es ist die – nicht in allen Einzelheiten authentisch nacherzählte – furchtbare Geschichte der Prinzessin Auguste Karoline von
Braunschweig-Wolfenbüttel, die alle Schrecken der Epoche, wie sie sich bis in die höchsten Spitzen der Gesellschaft erstreckten, umfasst und in ebenso grausamer wie tragischer Form die Kehrseite des sogenannten «galanten Jahrhunderts» enthüllt. Was die historische Datierung betrifft, so unterlaufen dem Erzähler gelegentlich Fehler, etwa wenn Barry sich rühmt, bei einem Galafest im kurfürstlichen Schloss zu Dresden die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth bei einer Polonaise geführt zu haben, obwohl die Schwester Friedrichs II. damals schon nicht mehr lebte. Man weiß nicht recht, ob dieser Fehler zu Lasten des Autors geht, der nicht sorgfältig genug mit seinen Quellen umgegangen ist,
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