Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
Reifrock erlebte. Es heißt, die Kostüme seien nicht stilecht gewesen und seither geändert worden, doch was mich angeht, so habe ich nie eine lieblichere Venus gesehen als jene Coralie, die Primaballerina, und fand auch kein Fehl an den sie umgebenden Nymphen mit ihren Schleppen und Hauben und ihrer Schminke. Diese Opern wurden zweimal in der Woche aufgeführt, und danach gab einer der hohen Hofbeamten einen Abendempfang und ein hervorragendes Souper, überall klapperten die Würfelbecher, und alle Welt
spielte. In der großen Galerie von Ludwigslust sah ich siebzig Spieltische, daneben die Pharaobank, zu der sich der Herzog selbst zu begeben geruhte; er spielte und gewann oder verlor mit wahrhaft königlichem Glanz.
Dorthin kamen wir nach unserem Unglück in Mannheim. Die adlige Hofgesellschaft machte keinen Hehl daraus, dass unser Ruf uns vorausgeeilt sei, und man hieß die beiden irischen Gentlemen willkommen. Am ersten Abend bei Hof verloren wir siebenhundertvierzig unserer achthundert Louis; am nächsten Abend gewann ich sie am Tisch des Hofmarschalls zurück und dazu weitere tausenddreihundert. Natürlich ließen wir niemanden wissen, wie nah wir am ersten Abend dem Ruin waren; ganz im Gegenteil, ich eroberte alle Herzen durch die Fröhlichkeit, mit der ich verlor, und der Finanzminister selbst honorierte einen Wechsel über vierhundert Dukaten, den ich auf meinen Verwalter zu Ballybarry Castle im Königreich Irland ausstellte und am folgenden Tag von Seiner Exzellenz zurückgewann, nebst einer beträchtlichen Summe in bar. Alle an diesem vornehmen Hofe waren Spieler. In den Vorzimmern des Herzogs konnte man die Lakaien mit ihren schmierigen Spielkarten ans Werk gehen sehen; die Kutscher und Sänftenträger
spielten im Schlosshof, während ihre Herren oben in den Salons große Summen setzten; selbst die Küchenjungen und Scheuermägde, hörte ich, hatten eine Bank, und einer von ihnen, ein italienischer Zuckerbäcker, gewann ein hübsches Vermögen. Später kaufte er sich ein römisches Marquisat, 238 und sein Sohn wurde einer der elegantesten unter den berühmten Ausländern im damaligen London. Die armen Teufel von Soldaten verspielten regelmäßig ihren Sold, wenn sie ihn denn erhielten, was selten der Fall war; ich glaube, in keinem Garderegiment gab es einen Offizier, der nicht stets die Karten bei sich trug und die Würfel ebenso wenig vergaß wie seine Degenquaste. Bei diesen Burschen hieß es List gegen List. Was man anständiges Spiel nennt, wäre reine Tölpelei gewesen. Die Ballybarry-Gentlemen hätten wahrlich Narren sein müssen, in solch einem Falkenhorst wie Tauben aufzutreten. In einer Gesellschaft, in der alle kühn und gerissen waren, konnten nur Männer mit Courage und Genie überleben und gedeihen; mein Onkel und ich haben uns dort behauptet, jawohl, und mehr als das.
Seine Hoheit der Herzog war Witwer – genauer gesagt, er hatte nach dem Tod der regierenden Herzogin eine morganatische Ehe 239 mit
einer Dame geschlossen, der er einen Titel verlieh und die es als Kompliment ansah (so war die Moral in jenen Tagen), die «Dubarry 240 des Nordens» genannt zu werden. Er hatte sehr jung geheiratet, und sein Sohn, der Erbprinz, könnte als der politische Souverän des Staats bezeichnet werden, denn dem regierenden Herzog lag mehr am Vergnügen als an der Politik, weshalb er viel lieber mit seinem Jagdmeister oder dem Operndirektor plauderte als mit Ministern und Botschaftern.
Der Erbprinz, den ich Prinz Viktor nennen will, unterschied sich im Wesen sehr von seinem erhabenen Vater. Er hatte sich im Dienst der Kaiserin im Erbfolgekrieg und im Siebenjährigen Krieg ausgezeichnet, war von herbem Charakter, erschien bei Hof nur, wenn es das Zeremoniell erforderte, und bewohnte fast ganz allein einen Palastflügel, wo er sich als großer Astronom und Chemiker striktesten Studien hingab. Er beteiligte sich an der damals in ganz Europa herrschenden Manie, nach dem Stein der Weisen 241 zu forschen, und mein Onkel bedauerte oft, dass er selbst keine Ahnung von Chemie besaß, wie Balsamo 242 (der sich Cagliostro nannte), St. Germain 243 und noch andere, die von Herzog Viktor sehr hohe Summen erhalten
hatten, da sie ihm bei seiner Suche nach dem großen Geheimnis halfen. Seine Zerstreuungen waren die Jagd und die Inspektion seiner Truppen; ohne ihn und seine Unterstützung des gutmütigen Vaters hätte die Armee den ganzen Tag Karten gespielt; daher war es gut, dass die Amtsgeschäfte bei dem klugen
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