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Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Titel: Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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worden – ein Gerücht, das keinen überraschte, der ihn kannte.
    An diesem Abend erschien ich in einer Rolle, mit der ich sehr vertraut war: als gemeiner Soldat der Garde des Königs von Preußen. Ich hatte mir eine groteske Maske anfertigen lassen, mit riesiger Nase und Schnauzbart, sprach ein wüstes Gemenge aus gebrochenem Englisch und überwiegend Deutsch, und dauernd umgaben mich größere Gruppen, die über meinen lustigen Akzent lachten und, da sie meine Vorgeschichte kannten, besonders neugierig waren. Miss Kiljoy erschien im Gewand einer antiken Prinzessin, begleitet vom kleinen Bullingdon als Page in ritterzeitlicher Tracht; sein Haar war gepudert, sein Wams rosa, hellgrün und silbern, und wie er dort mit meinem Degen an der Seite herumstolzierte, wirkte er sehr ansehnlich und
frech. Mr Runt hingegen wanderte sehr sittsam in einem Domino umher, erwies unablässig dem Buffet seine Reverenz und aß so viel kaltes Hühnchen und trank so viel Punsch und Champagner, dass eine ganze Grenadierkompanie satt geworden wäre.
    Der Vizekönig kam und ging mit angemessenem Gefolge – der Ball war prachtvoll. Miss Kiljoy hatte Partner im Überfluss (auch ich war darunter und schritt ein Menuett mit ihr, falls man das plumpe Watscheln der irischen Erbin so nennen kann), und ich nutzte die Gelegenheit, um in überaus pathetischen Worten meine Leidenschaft für Lady Lyndon zu beteuern und ihre Freundinnen um Fürsprache für mich zu bitten.
    Um drei Uhr morgens brach die Gesellschaft des Hauses Lyndon auf. Der kleine Bullingdon war schon längst in einem von Lady Charlemonts Porzellankabinetten eingeschlafen. Mr Runts Stimme war überaus heiser, sein Gang überaus unsicher. Heutzutage wäre eine junge Dame äußerst beunruhigt, wenn sie einen Gentleman in diesem Zustand sähe; in jenen munteren alten Zeiten war dies jedoch ein gewohnter Anblick, und man hielt einen Gentleman für einen Schwächling, wenn er nicht hin
und wieder angeheitert war. Ich begleitete Miss Kiljoy zusammen mit mehreren anderen Gentlemen zu ihrem Wagen, sah – umringt von zerlumpten Fackelträgen, Kutschern, Bettlern, betrunkenen Männern und Frauen, wie sie unweigerlich die Türen der Vornehmen umlagerten, wenn dort Festlichkeiten stattfanden – die Kutsche, begleitet von einem Hurra der Menge, wegfahren und begab mich sogleich wieder in den Speisesaal, wo ich Deutsch sprach, die drei oder vier übrig gebliebenen Trinker mit einem Lied auf Hochdeutsch unterhielt und entschlossen die Platten und Weine anging.
    «Wie können Sie mit dieser großen Nase überhaupt trinken?», fragte ein Gentleman.
    «Gehen Sie doch zum Henker!», sagte ich mit kräftigem deutschem Akzent und wandte mich wieder dem Wein zu; die anderen lachten, und ich aß in Ruhe weiter.
    Es war noch ein Gentleman anwesend, der die Lyndon-Gesellschaft hatte abfahren sehen; mit ihm hatte ich eine Wette abgeschlossen, die ich verlor, und am nächsten Morgen suchte ich ihn auf und bezahlte meine Schulden. Der Leser mag überrascht sein, all diese Einzelheiten aufgeführt zu sehen; Tatsache ist nämlich, dass gar nicht ich derjenige war, der zum Fest zurückkehrte,
sondern mein deutscher Diener, der meine Statur hatte und in meiner Maske sehr gut für mich durchgehen konnte. Wir hatten in einer Mietsdroschke, die nahe Lady Lyndons Wagen stand, die Kleider getauscht; ich fuhr dem anderen Gefährt nach und holte es schon bald ein.
    Das verhängnisvolle Vehikel, welches das liebliche Objekt von Ulick Bradys Neigungen barg, war noch nicht weit gekommen, als es mitten in einer tiefen Rille der Straße plötzlich mit einem Ruck anhielt; der Lakai sprang vom äußeren Rücksitz, rief dem Kutscher «Halt!» zu, sagte ihm, ein Rad sei abgefallen und es wäre gefährlich, mit nur dreien weiterzufahren. Radkappen, inzwischen von den einfallsreichen Baumeistern von Long Acre 345 erfunden, gab es damals noch nicht. Ich mag nicht mutmaßen, wie der Achsnagel das betreffende Rad verlassen hat; möglicherweise wurde er von einigen Schuften in der Menge vor Lord Charlemonts Tor herausgezogen.
    Miss Kiljoy reckte den Kopf aus dem Fenster und kreischte, wie Damen dies gewöhnlich tun; Mr Runt, der Kaplan, erwachte aus seinem Säuferschlummer; der kleine Bullingdon richtete sich auf, zog seinen kleinen Degen und sagte:

    «Keine Angst, Miss Amelia; wenn es Räuber sind – ich bin bewaffnet.» Der junge Bengel hatte wahrlich den Mut eines Löwen; das muss ich trotz all meiner späteren

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