Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Zeiten wir leben, Herrin. Und vor wem die Menschen flüchten."
    Die Hexe nickte nur ganz leicht, aber die Bewegung ließ die gesamte Luftblase erbeben und warf Serafin und Unke durcheinander. Einer der gigantischen Mundwinkel zuckte amüsiert in die Höhe. „Die Ägypter also. Aber du bist kein Mensch."
    „Nein. Al erdings lebe ich unter ihnen."
    „Du hast das Maul einer Meerjungfrau. Wie könnten dich die Menschen jemals als ihresgleichen akzeptieren?" „Ich war jung, als ich das Wasser verlassen habe. Ich wusste nicht, was ich tat."
    „Wer hat dir deinen Schuppenschwanz genommen?"
    „Du musst ihren Geruch an mir wittern."
    Erneut nickte die Hexe, und wieder schlitterten Serafin und Unke umher wie Insekten, die ein Kind in einem Glas gefangen hat. „Ich habe sie getötet. Sie war alt und dumm und voll von bösen Gedanken."
    Serafin dachte an den Leichnam der Hexe an der Oberfläche. Und er wunderte sich über die Worte des Wesens vor ihnen. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass eine Meerhexe etwas wie das Böse überhaupt benennen konnte. Oder wollte. Sie sind Aasfresser, hatte Unke gesagt. Aber machte sie das von Natur aus schlecht? Auch Menschen aßen totes Fleisch.
    „Ich bin nie eine Dienerin deiner Rivalin gewesen", sagte Unke zur Hexe. „Es war ein Handel. Dafür, dass sie mir meinen Schuppenschwanz gegen Beine eingetauscht hat, ist sie entlohnt worden."
    „Das will ich dir glauben. Als sie starb, waren ihr keine Diener geblieben. Sogar einige der anderen Hexen haben sie gefürchtet."
    „Dann war es gut, dass du sie besiegt hast."
    Die Hexe machte tief unter Serafin und Unke eine umfassende Bewegung mit ihren baumgroßen Händen. „Du weißt, wer einst in diesem Reich gelebt hat?"
    Unke nickte. „Die Subozeanischen waren stark in diesen Breiten der Untersee."
    „Es gibt hier noch immer ungeheuer viel zu entdecken. Die Ruinen der Subozeanischen Kulturen sind voller Rätsel. Aber ich hätte größere Muße, sie zu erkunden, wenn ich mir keine Sorgen wegen der Ägypter machen müsste."
    „Warum sollte ein Geschöpf wie du den Pharao fürchten?"
    Die Hexe gestattete sich zum ersten Mal ein aufrichtiges Lächeln. „Du musst mir nicht schmeicheln, Meerjungfrau-mit-Beinen. Es ist wahr, ich bin mächtig hier in der Untersee. Aber das, was den Ägyptern ihre Kraft gibt, könnte auch mir einmal gefährlich werden. Und doch fürchte ich nicht allein um mich. Das Imperium hat die Meerjungfrauen fast ausgerottet. Wir Meerhexen wurden geboren, um zu herrschen, aber über wen sollen wir regieren, wenn unsere Untertanen immer weniger werden? Irgendwann wird es keine Meerjungfrauen mehr geben, und dann ist auch unsere Stunde gekommen. Die See wird ein leeres, totes Reich sein, voll von Fischen ohne Verstand."
    „Dann verbindet uns der Hass auf die Ägypter", sagte Unke.
    „Ich hasse sie nicht. Ich erkenne ihre Notwendigkeit im Lauf der Dinge. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich mit ihnen abfinden will. Mit all dem Zorn und der Trauer, die sie mir verursacht haben." Einen Moment lang war der Blick der riesigen Hexenaugen nach innen gerichtet, gedankenverloren und sorgenschwer. Ebenso schnell aber kehrte ihre Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt. „Was habt ihr vor, wenn ich euch laufen lasse?"
    Serafin war die ganze Zeit über ruhig geblieben, und auch jetzt hielt er es noch immer für das Vernünftigste, das Reden Unke zu überlassen. Sie wusste am ehesten, wie mit einem solchen Wesen umzugehen war. „Die Menschen, die mich begleiten, werden auf der weiten See verdursten", sagte Unke. „Und ich werde nicht allein weiterziehen. Eher sterbe ich."
    „Große Worte", sagte die Hexe. „Du meinst sie ernst, nicht wahr?"
    Unke nickte.
    „Welches Ziel habt ihr?"
    Ja, dachte Serafin, welches Ziel haben wir eigentlich?
    „Ägypten", sagte Unke.
    Serafin starrte sie an. Die Hexe bemerkte es.
    „Dein Begleiter ist anderer Meinung?" Die Frage war formuliert, als wäre sie an Unke gerichtet, aber tatsächlich blickte die Hexe jetzt auf Serafin, und sie erwartete, dass er eine Antwort gab.
    „Nein", sagte er unsicher. „Keineswegs."
    Unke schenkte ihm den Schatten eines Lächelns. Zur Hexe gewandt sagte sie: „Wir haben nur die Wahl, uns zu verstecken oder zu kämpfen. Ich werde kämpfen. Und ich bin sicher, meine Freunde werden sich für den gleichen Weg entscheiden, wenn sie erst einmal Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken."
    „Ihr wollt Ägypten angreifen?", fragte die Hexe spöttisch.

Weitere Kostenlose Bücher