Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
ihrem Mund. Ihre weit geöffneten Augen starrten ins Leere. Er ließ von ihr ab. Sie musste schon tot sein. Die Faustschläge konnten es nicht bewirkt haben. Es war wohl beim Aufprall des Kopfes auf eine Kante der Truhe passiert. Ihm gefiel nicht, dass es so schnell gegangen war. Er hätte gern mehr davon gehabt.
»Aber den letzten Wunsch erfülle ich dir, Teufelsbraut!«, murmelte er. Dazu nahm er sich Zeit. Er hob den Mantel und ihre Tunika an und starrte lange auf ihre nackten Beine. Dann warf er das kurze Schwert und die Axt auf eine der Bänke. Er wollte den Gürtel abschnallen, geriet jedoch auf einmal ins Taumeln, weil der Wagen durch eine Erdmulde rumpelte.
Mit einem Fluch drehte er sich um. Das verknotete Ende der Zügel lag unter der Lenkerbank. Er musste sich niederbeugen, um es zu fassen.Im nächsten Augenblick standen die Pferde.
Aber da hatte er schon die Axt im Rücken. Rechts unter dem Schulterblatt war sie eingedrungen. Als er sich bücken musste, war Scylla hochgeschnellt, hatte die Axt mit beiden Händen gepackt und zugeschlagen. Er kam noch hoch und versuchte, das Schwert zu ergreifen. Aber sie stieß ihn mit dem Fuß zurück. Aufbrüllend sackte er neben dem Einstieg zusammen.
Sie packte das Schwert und holte aus, um ihm den Schädel zu zerschmettern. Aber bei dem Versuch, sich aufzurichten, brach er noch einmal zusammen und fiel rücklings aus der Carruca ins Gras. Das Schwert fuhr in das Holz der Wagenwand.
Drei tiefe Atemzüge lang zögerte sie. Sein Pferd graste ein Stück entfernt am Wegrand. Er war schwer verletzt, er konnte sie nicht mehr aufhalten. Doch Ursios Leute konnten jeden Augenblick auftauchen. Wenn sie noch etwas wieder gutmachen wollten, mussten sie ihren Auftrag erfüllen.
Sie erhob sich von der Truhe und ließ sich nach vorn auf die Lenkerbank sinken. Greller Schmerz durchzuckte ihren Kopf, ihren Hals, ihre Brust. Blut rann von ihrem kahlen Schädel. Sie erwischte die verknoteten Zügel und riss daran. Die Pferde gehorchten.
Erst als gut zweihundert Schritte zurückgelegt waren, wagte sie, sich zur Seite zu beugen und einen Blick zurückzuwerfen. Der graue Haufen, der Baddo sein musste, lag noch immer mitten auf dem Wege. Das Pferd war herangekommen und beschnüffelte ihn. Von Verfolgern war nichts zu sehen.
Noch einmal hielt sie an, um sich in Ordnung zu bringen. Mit tastenden Händen stellte sie fest, dass ihre Verletzungen nicht gefährlich waren. Weit vorn auf dem Weg entdeckte sie ein Gefährt, das entgegenkam. Den Schmerz verbeißend, schwang sie die Geißel.
Der Wagen rollte. Sie erreichte tatsächlich noch am Abend Amiens.
Kapitel 16
Gregor von Tours, der Geschichtsschreiber der Franken, berichtet über die Eröffnung des Feldzugs gegen die Westgoten lapidar:
»Darauf sprach König Chlodwig zu den Seinigen: › Es bekümmert mich sehr, dass diese Arianer noch einen Teil Galliens besitzen. Lasst uns aufbrechen mit Gottes Beistand und sie besiegen und dieses Land in unsere Gewalt bringen. ‹ Und da allen diese Rede wohl gefallen hatte, brach er mit seinem Heere auf.«
Im Frühjahr 507 ging das fränkische Heer bei Amboise über die Loire.
Chlodwig hatte sich als einer der Ersten hinüberrudern lassen und beobachtete den Übergang vom gotischen Ufer aus. Eine Schiffsbrücke war errichtet worden, außerdem pendelten zahlreiche Boote und Flöße.
Immer wieder kam es zu Unfällen. Seit Tagen regnete es, der Fluss war angeschwollen, die Strömung stark. Zehn Tage hatte der König am fränkischen Ufer auf einen Wetterumschlag gewartet, doch es gab keine Aussicht auf Besserung. So musste er sich zu dem Wagnis entschließen.
Verdrießlich saß er stundenlang auf seinem Klappstuhl unter dem Dach einer halb verfallenen Vorratshalle für Fische. Ab und zu stand er auf und machte sich Bewegung. Er trug über dem ledernen Brustpanzer einen Otterpelz und darüber zwei wollene Mäntel, fror aber immer noch. Der Regen trommelte auf seinen Helm, seine Stiefel sanken in den Uferschlamm ein.
Auf einem dieser kurzen Märsche begleitete ihn Chloderich, der Sohn des lahmen Sigibert. Es war der dritte Tag des Übergangs, und das Hilfsheer der Rheinfranken, das Chloderich befehligte, kam auf der Schiffsbrücke herüber. Zwei der mit Waffen und Gepäck beschwerten Männer gerieten auf den schwankenden Bohlen ins Straucheln, stürzten ins Wasser und versanken.
»Schlechte Schwimmer«, bemerkte Chlodwig, der den letzten verzweifelten Kampf der beiden beobachtete. »Jetzt sind
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