Die Meute der Morrigan
auftauchen,
dürft ihr auf gar keinen Fall davonlaufen. Versprecht es mir.»
Sie versprachen es.
«Keine Sorge. Ich würd’ nicht
mal rennen, wenn sie’s mir bezahlen würden», fügte Brigit frech hinzu.
«Jagen ist eine Sache, fangen
aber eine ganz andere. Ihr habt noch einen langen Weg vor euch, und der Anfang
war gemächlich. Glaubt nicht, es sei einfach, nicht davonzurennen. Ihr glaubt
nur, es sei einfach, weil ihr noch nie von einem Raubtier gejagt worden seid.»
«Raubtier?» wiederholte Pidge
erschauernd. «Sind wir eine
Beute für Raubtiere?»
«Nur wenn ihr davonrennt. Nur
dann. Ihr werdet verfolgt, aber nicht gejagt, versteht ihr? Ihr dürft
rennen, aber nie, wenn die Hunde in Sichtweite sind. Ja?»
«Ja.»
«Ich muß euch sagen, daß ihr
immer noch eure Meinung ändern könnt, und frage euch, ob ihr immer noch bereit
seid, euch auf diese Reise voller Wunder und Schrecken zu begeben?»
Pidge spürte, daß Serena sie
nicht belog und daß sie wirklich nicht gejagt werden würden. Er dachte über
das, was sie gesagt hatte, nach und beschloß, auf keinen Fall davonzulaufen,
wenn die Hunde zu sehen waren.
«Ich muß bereit sein; ich bin
ja schuld daran, daß Olc-Glas befreit worden ist», sagte er.
«Wir sind bereit, aber wir
haben keine Erfahrung», sagte Brigit.
Es war ein seltsames Gefühl,
von Serena abzusteigen und den Boden zu spüren, ohne etwas sehen zu können.
«Gute Reise. Adieu», flüsterte
Serena und war fort; verschwunden im Nebel, lautlos wie eine davongewehte
Blüte.
«Du kannst mir die Hand geben,
Pidge, damit du dich nicht verirrst»
«Ich muß immer lächeln über
dich», sagte er und hielt ihre Hand ganz fest.
«Über mich? Warum denn?»
«Nur so.»
Sie gingen los.
Es brauchte Mut, einfach
weiterzugehen, denn überall konnten unsichtbare Gefahren drohen wie Gruben,
Sümpfe oder gar Abgründe. Doch mit jedem Schritt wurde es ihnen
selbstverständlicher, und außerdem hätte Serena sie bestimmt nie einer solchen
Gefahr ausgesetzt.
«Pidge, sind wir auf dem
richtigen Weg?»
«Ich weiß es noch nicht. Wenn
bald eine Kerze kommt ist es der richtige Weg.»
Na gut sagte er zu sich, die
Würfel sind nun mal gefallen. Jetzt sind wir allein. Wer hätte gedacht, daß
sich in Shancreg all diese übernatürlichen Dinge abspielen würden. Im Innersten
bin ich froh, daß ich da hineingeraten bin. Nicht jeder erlebt so etwas.
Sie setzten vorsichtig Fuß vor
Fuß, wie Diebe.
Brigit fragte:
«Sind wir überhaupt noch in
Irland, Pidge?» Und Pidge rätselte selbst, bevor er antwortete:
«Ich glaube schon; doch, ich
glaube bestimmt», weil er es eigentlich selbst nicht so genau wußte.
Eine Kerze erblühte vor ihnen
im weißen Nebel.
«Da ist eine! Wir sind auf dem
richtigen Weg», sagte Brigit.
Sie wollte darauf zulaufen und
wand ihre Hand in Pidges Hand, um sich zu befreien.
«Laß meine Hand nicht los,
Brigit. Hab ein bißchen Geduld.»
Dann standen sie da und
betrachteten die Kerzenflamme. Sie flackerte und tanzte, wurde lang, wellte und
krümmte sich und beleuchtete die elfenbeinweißen Wachstropfen, die herunterliefen
und von Feuchtigkeit schimmerten. Eine kleine Flamme, an den Rändern blau
gekräuselt, bebte vor Lebendigkeit und versuchte dauernd, sich vom Docht, der
sie festhielt und doch ihre Wurzel war, zu befreien.
Wenn sie sich befreien würde,
dachte Pidge, würde sie natürlich augenblicklich ersterben.
«Es ist, als wäre der Nebel das
Meer und die Kerzen die Leuchttürme, die uns den Weg zeigen», sagte er zu
Brigit.
«Ich würde gern hierbleiben und
sie immerzu anschauen», antwortete sie. «Ich mag Kerzen viel lieber als
Elektrixität. Aber es ist schon gut, ich weiß, daß es nicht geht — wie neulich
beim Wasserfall.»
Sie gingen weiter.
Die Kerzenflamme zitterte,
wurde winzig klein und verschwand ganz.
«Ich wundere mich nur, daß sie
in diesem Nebel überhaupt brennen», bemerkte Pidge.
«Ich nicht. Es ist einfach
Zauberei. Es gibt viel Zauberei im Augenblick, ganz wie in früheren Zeiten.»
«Es geschehen dauernd viele
wunderbare Dinge, nur nehmen wir sie nicht wahr und sagen meistens, es sei ‹die
Natur›. Wir sind zum Beispiel nicht im mindesten überrascht, daß wir im Herbst
einen Apfel pflücken können, der im Frühling eine rosa Blüte war. Das ist
Naturzauberei, aber wir merken es gar nicht richtig.»
«Ja, und erst die Butter!»
sagte Brigit.
«Die Butter?»
«Ja. Sie ist hart und entsteht
aus etwas Weichem. Sie ist gelb und
Weitere Kostenlose Bücher