Die Milliarden-Verschwender - wie Beamte, Bürokraten und Behörden unsere Steuergelder zum Fenster hinauswerfen
bewusst, dass es sich hier um ein bestaunenswertes Phänomen handelte. Doch ich hatte nicht mit der öffentlichen Wirkung gerechnet, die die Überbringung des Schildes auslöste. Auch Udo Rößing, der damalige Kämmerer und spätere Bürgermeister von Raesfeld, war überwältigt von der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, der sich seine Gemeinde in der Folgezeit über die Landesgrenzen hinaus erfreute.
Einige Jahre später rief Herr Rößing mich an und teilte mir mit, dass Raesfeld seine Kläranlage erweitern und deshalb Schulden aufnehmen müsse. Meine Reaktion: »Herr Rößing, das können Sie mir nicht antun.« Inzwischen war Raesfeld für mich nämlich zu meiner Lieblingsgemeinde avanciert, die mir in Vorträgen landauf, landab als Vorbild und Musterbeispiel für Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie der heimischen Wirtschaft diente. Die achtsame Haushaltspolitik der Raesfelder zahlte sich aus: Aufgrund der Schuldenfreiheit hatte die Gemeinde keine Zinslasten zu tragen und konnte deshalb mit den niedrigsten Gewerbesteuerhebesätzen und den niedrigsten Gebühren vergleichbarer Gemeinden glänzen.
Wenige Tage später rief mich Herr Rößing wieder an, um mir mitzuteilen, dass der Rat der Gemeinde beschlossen habe, den Ausbau der Kläranlage solange zu verschieben, bis die dafür erforderlichen Mittel ohne Schuldenaufnahme nicht zur Verfügung stehen. Ich war erleichtert und konnte in der Folgezeit die Schilderung des Falls Raesfeld um das Beispiel einer weiteren vernünftigen Entscheidung ergänzen.
So weit zur Vorgeschichte, die meine Begeisterung für die Installierung einer Schuldenuhr erklärt. Ohne das Vorbild der münsterländischen Gemeinde hätte ich die Möglichkeit schuldenfreier öffentlicher Haushalte vielleicht selbst für eine Utopie gehalten. Und damit wäre die Geschichte von Raesfeld hier eigentlich zu Ende, und ich könnte weiter über das Entstehen der Schuldenuhr berichten. Eigentlich. Denn ein neues, düsteres Kapitel muss hinzugefügt werden. Im Jahr 2011 verabschiedete das Land Nordrhein-Westfalen ein Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG), durch das die Gemeinde Raesfeld strukturbedingt mehr als eine halbe Million Euro weniger vom Land erhält als bisher. Das ist ein Skandal: Mit dem neuen Gesetz in Nordrhein-Westfalen wird es den Kommunen de facto unmöglich gemacht, schuldenfrei zu haushalten. Im selben Jahr, in dem Raesfeld den 19. Jahrestag seiner Schuldenfreiheit feiert, muss Bürgermeister Andreas Grotendorst feststellen: »Raesfeld ist die einzige Kommune in NRW, die so lange schuldenfrei ist. Das schaffen wir nur durch konsequentes Sparen und umsichtiges Haushalten. Wenn mit der Reform des GFG 2011 selbst in einer Gemeinde wie Raesfeld kein Haushaltsausgleich möglich ist, stimmt etwas am System nicht mehr.« 11
Nun gut, 1994 erlaubte gerade das Beispiel Raesfeld es noch, an die Utopie der Schuldenfreiheit zu glauben, und so machten wir uns an die Umsetzung der Idee einer Schuldenuhr. Schon in der nächsten Sitzung des Bundesvorstandes stellten Dieter Lau und ich das Projekt vor, und die Umsetzung wurde beschlossen. Damit konnten wir die Finanzierung und die technische Umsetzung der Schuldenuhr in Angriff nehmen.
Hier half der Zufall weiter, denn wenig später entdeckte ich in der Schadowstraße in Düsseldorf eine große digitale Werbeanzeige, die als Vorbild für die geplante Schuldenuhr dienen konnte. Die Herstellerfirma war bereit, die Schuldenuhr nach unseren Vorstellungen zu bauen und an unserem Bürogebäude in der Adolfsallee 22 in Wiesbaden anzubringen. Am 12.6.1995 wurde sie dann, von großer medialer Aufmerksamkeit begleitet, eingeweiht. Da die Ziffern der Schuldenuhr den Vorplatz des Hauses bei Dunkelheit in ein rotes Licht tauchten, wurde die Stelle später das »Rotlichtviertel« von Wiesbaden genannt. Die Alarmfarbe Rot passt zur finanziellen Lage der öffentlichen Haushalte. Am Ende des Einweihungstages, dem 12.6.1995, standen Bund, Länder und Gemeinden mitsamt ihren Sondervermögen mit 1937 Milliarden Mark zu Buche, bei einer sekündlichen Neuverschuldung von 3935 Mark. Die Schuldenuhr erlaubte es, den Verlauf der immer weiter kreisenden Schuldenspirale vorauszusagen: »Mit der Präzision und der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks manövriert sich der Staat immer tiefer in die roten Zahlen. Und zum Ende des Jahres, genau am 14.12.1995 gegen 15.30 Uhr, wird der Staat die Schallmauer von 2000 Milliarden Mark durchbrechen«, prophezeite unsere
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