Die Mission des Wanderchirurgen
ließen. »Es ist … es ist … wegen Mutter.«
»Was ist mit deiner Mutter? Was ist mit Ana?«
»Sie hat wieder große Schmerzen. Heute Morgen waren sie so stark, dass sie nicht einmal aufstehen konnte.« Nina schlug die Hände vors Gesicht. »Sie tut mir so Leid! Und Vater macht sich schreckliche Vorwürfe, dass er sie nicht schon früher zum Bader geschickt hat!«
»Und ist der Bader gekommen?«
»Ich weiß nicht. Ich musste ja zur Schule. Danach hätte ich gleich heimgehen sollen, aber ich wollte so gern in deine Unterrichtsstunde … ach, es ist alles so furchtbar!«
»Weine nicht mehr. Ich verspreche dir: Alles wird gut. Wir brechen die Lektion ab und gehen sofort zu dir nach Hause. Ich muss nur noch rasch meinen Instrumentenkasten und die Säckchen mit den Heilkräutern holen. Bin gleich zurück.«
»Nein!«
»Nein?« Er hielt inne. »Aber warum sollte ich Ana nicht helfen? Sie ist eine der tüchtigsten und freundlichsten Frauen, die ich jemals kennen gelernt habe.«
»Sie … sie …«
»Ja?«
»Sie weiß nicht, dass du zurückgekehrt bist. Keiner auf dem Hof weiß es.«
»Was? Aber wieso denn? Hast du es den Deinen nicht erzählt?«
Nina schüttelte den Kopf.
»Das verstehe ich nicht!«
Sie fuhr fort, den Kopf zu schütteln, doch unvermittelt nahm sie seine Hand und blickte ihn flehentlich an. »Ich hab’s einfach nicht erzählt, genügt das nicht? Und weil es so ist, kannst du jetzt nicht plötzlich auf dem Hof erscheinen.«
»Hm, hm. Da hast du wohl Recht. Andererseits möchte ich Ana nicht in den Händen irgendeines Baders wissen. Was wäre denn, wenn ich so täte, als sei ich gerade erst in Campodios angekommen?«
»Oh, das würdest du tun? Bitte, tu’s! Bestimmt könntest du Mutter helfen.«
»Dann warte hier.«
»Vitus, mein Freund! Wie gut, dass du zurück bist! Schön, dich zu sehen, auch wenn der Anlass nicht erfreulich ist!« Orantes, ein starker, vierkant gebauter Mann, presste Vitus so heftig an sich, dass dieser fast den Boden unter den Füßen verlor. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, um wie viel stürmischer die Begrüßung unter normalen Umständen ausgefallen wäre.
»Sowie ich erfuhr, dass Ana krank ist, bin ich gekommen«, erwiderte Vitus, nach Luft ringend.
»So bist du noch immer der barmherzige Samariter! Dem Allmächtigen sei Dank, dass es noch Menschen wie dich gibt.« Der Landmann gab Vitus frei. »Wie lange bist du denn schon in Campodios?«
»Wie lange? Oh, nun, jedenfalls bin ich rechtzeitig angekommen, um Ana wieder auf die Beine helfen, nicht wahr?« Vitus nahm seinen Instrumentenkasten auf und erhaschte dabei einen dankbaren Blick Ninas.
Orantes gab sich mit der Antwort zufrieden. Die Krankheit seines Weibes bestimmte ohnehin alle seine Gedanken. »Dann lass uns hineingehen«, sagte er und verscheuchte seine neugierig herumstehende Kinderschar. »Fort mit euch, ihr junges Gemüse! Geht an eure Arbeit!«
Im Schlafraum der Eltern herrschte wenig Licht, so dass Nina erst ein paar Kerzen anzünden musste. Während sie das tat, versuchte Ana, sich aufzurichten. »Bist du es, Mann?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Ja«, rief Orantes, darum bemüht, munter zu klingen, »aber ich komme nicht allein. Vitus ist bei mir, du weißt doch, der Cirurgicus, der damals Gago operiert hat!«
»Der Cirurgicus?« Ana wollte sich jetzt vollends aufsetzen, aber Vitus drückte sie mit sanfter Gewalt zurück. »Bleib nur liegen. Du musst mir ein paar Fragen beantworten, damit ich dir helfen kann.«
»Vitus ist zurück …« Ana konnte es noch immer nicht fassen. »Seit wann bist du denn wieder da?«
»Das ist jetzt nicht so wichtig. Sage mir lieber, wie lange du schon die Schmerzen hast.« Er setzte sich auf den schmalen Rand der Bettstatt.
»Vier Wochen sind es wohl.«
»Gut, vier Wochen.« Im Folgenden befragte er sie aufs Genaueste, wollte wissen, ob der Schmerz anhaltend sei, von welcher Art er sei, ob dumpf oder stechend, ob er sich ausbreite oder nicht, erkundigte sich nach Übelkeit und Schwindel und Krämpfen und Fieber und danach, ob Wärme den Schmerz lindere, fragte nach der Nahrung, die Ana gewöhnlich zu sich nahm, nach dem Appetit, den Trinkgewohnheiten und vielem mehr. Er bat sie, den Mund zu öffnen, damit er die Beschaffenheit der Zunge und der Zähne untersuchen konnte, und hieß sie, ihn anzuhauchen, weil er erfahren wollte, ob ihrem Gedärm übler Geruch entströmte. Damit nicht genug, begehrte er zu wissen, ob der
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