Die Mission des Wanderchirurgen
Gang zum Abtritt normal sei und auch die monatliche Blutung, ob die Bauchdecke öfter gespannt sei und sich Verfärbungen der Haut bemerkbar gemacht hätten.
Zuletzt griff er sich Anas Handgelenk und überprüfte den Puls, der ihm nicht sonderlich stark und nur unerheblich schneller zu sein schien. Gern hätte er den Leib seiner Patientin persönlich in Augenschein genommen und die Schmerzstellen abgetastet, aber das war im starren, am Althergebrachten festhaltenden Spanien unmöglich. Anstand und Sitte und vor allem die heilige Mutter Kirche verboten eine solche Vorgehensweise aufs Schärfste. Ein Arzt, der sich darüber hinwegsetzte, konnte ohne Weiteres im Kerker der Inquisition landen.
Vitus gab das Handgelenk frei und richtete sich auf.
»Was hat sie?«, fragte Orantes mit gepresster Stimme.
»Ja, was hat sie?«, fragte auch Nina.
»Gottlob nichts Lebensbedrohendes. Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich um einen Magenkatarrh. Ana sagte, sie spüre keinen Hunger, ihr sei übel bis zum Erbrechen, und der Magen fühle sich an wie zusammengeschnürt – typische Merkmale für diese Krankheit. Der Belag auf ihrer Zunge und der ungesunde Atem sind weitere Anzeichen dafür. Insgesamt muss festgestellt werden, dass der Magen zu kalt ist, was durch zu viel Schleim, welcher kalt und feucht ist, bewirkt wurde. Der Vier-Säfte-Lehre zufolge braucht sie Lein, denn Lein ist warm und sanft. Man weicht geschroteten Leinsamen in Wasser ein, kocht ihn kurz auf und seiht ihn dann durch ein Tuch. Der so gewonnene warme Schleim wird den kalten Schleim vertreiben. Er soll fünfmal am Tag getrunken werden.«
Ana rührte sich. »Danke, Vitus. Danke. Wenn nur die Schmerzen nicht wären.«
»Gegen die Schmerzen gebe ich dir etwas Laudanum, das zudem entkrampfend wirkt.« Er holte ein Fläschchen des Wundermittels aus seinem Instrumentenkasten, tropfte eine gewisse Menge auf einen Zinnlöffel und flößte ihr die Arznei ein. Dann wandte er sich an Nina. »Habt ihr Leinsamen im Haus?«
»Nein, Vitus, ich glaube, nicht.«
»Dann lasse ich dir ein Säckchen hier. Weiche nur die Samen bald ein, damit spätestens morgen mit der Behandlung begonnen werden kann.«
»Ja, ist gut.« Nina nahm den Beutel und verschwand.
»Kopf hoch, Ana«, sagte Vitus, sich wieder zu der Kranken hinunterbeugend, »bald wirst du wieder gesund sein. Achte nur darauf, dass du bekömmliche Kost zu dir nimmst: Oliven und eingelegtes Gemüse sind erlaubt, auch Obst, etwa Äpfel vom vergangenen Jahr. Iss nicht zu scharf und lieber häufiger eine kleine Portion als einmal eine große. Und lass den Wein weg, Wasser ist jetzt besser für dich.«
»Ja, das werde ich.«
Orantes rief: »Keine Sorge, den Wein meines Weibes will ich gerne mittrinken!« Jetzt, nachdem klar war, dass Ana wieder auf die Beine kommen würde, meldete sich die gute Laune bei ihm zurück. »Ich danke dir, Vitus! Dich hat der Himmel geschickt.«
»Nicht der Rede wert. Ich werde in den nächsten Tagen noch einmal nach Ana sehen. Bis dahin muss Nina sie pflegen.«
»So soll es sein! Was meinst du, wie lange mein Weib das Bett hüten muss?«
»Es kommt darauf an. Ich denke, drei Tage werden genügen. Wenn die Beschwerden nachlassen, wird sie ohnehin nicht mehr liegen wollen.«
Nina erschien wieder, ein Tablett in der Hand, auf dem zwei Becher mit Rotem standen, dazu ein Teller mit Fladenbrot und Ziegenkäse. »Ich habe euch etwas zu essen gebracht«, sagte sie, ganz sorgende Hausfrau.
»Essen, ja!«, rief Orantes. »Wie konnte ich nur so ungastlich sein! Komm, mein Freund, wir gehen in die große Stube und lassen es uns dort schmecken.«
»Warte.« Vitus wollte noch einmal nach Ana sehen, doch erwies sich das als nicht mehr notwendig. Orantes’ Frau war sanft entschlummert. Das Laudanum hatte seine Schuldigkeit getan.
Orantes nahm Nina das Tablett ab und schritt voraus, grenzenlos erleichtert und pausenlos redend. »Wie geht es denn dem Magister? Du bist doch sicher mit ihm zusammen hier? Was habt ihr erlebt? Das Letzte, was ich hörte, war, dass ihr von England nach Neu-Spanien aufgebrochen wärt? Stimmt das? Sind die eingeborenen Mädchen dort tatsächlich so feurig? Hahaha, du brauchst mir nicht zu antworten. Du bist größer geworden, bei Gott, mindestens einen Zoll! Und breiter in den Schultern! Wie lange ist es her, dass wir einander zuletzt gesehen haben? Fast vier Jahre? Zapperlot, wie die Zeit vergeht? Hast du was von meinen Prachtzwillingen gehört? Sie treiben sich
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