Die Mission
ziemlich harmlose Sache handelte. Doch sie irrte. Ganz offensichtlich hatten die Autoren, die jene wilden Jahre von damals beschrieben, nicht den Mut gehabt, die ganze Wahrheit über die zügellosen Ausschweifungen der Nachkriegsära in Berlin und Paris zu berichten.
Jetzt verstand Ella die Aufregung und auch, warum Josephine Baker vor einem Jahrhundert die europäischen Gesellschaften so unglaublich schockiert hatte. Ihr Tanz war primitiv, animalisch, erotisch und wild. Verdammt hart an der Grenze zur Pornographie.
Während Josephine Baker über die Tanzfläche wirbelte und dabei ihren schlanken braunen Körper um ihren Partner schlängelte, war Ella klar, warum die Kritiker von damals ihren Tanz als »entartet« bezeichnet hatten. Josephine Baker verband darin all jene Bewegungen und Gesten, die für einen »anständigen« Bürger tabu waren. Doch führte sie ihn in einem derart halsbrecherischen Tempo auf, dass man kaum erkennen konnte, wie schmutzig und verdorben er tatsächlich war. Und obszön … künstlerisch obszön.
Die Frau muss Gelenke aus Gummi haben, dachte Ella. Anders waren ihre Sprünge und Kapriolen nicht zu erklären. Wie ein Wirbelwind fegte sie über die Bühne, vollführte Spagate, Pirouetten, schüttelte sich, zuckte. Arme, Rumpf, Kopf und Beine schienen sich unabhängig voneinander zu den unterschiedlich pulsierenden Rhythmen der Jadband zu bewegen.
Am erstaunlichsten aber war, dass ihr Publikum sie ganz offensichtlich heiß verehrte, obwohl darunter – die große Zahl von schwarzen Uniformen, die Ella unter den Zuschauern sah, bestätigte es – viele SS -Offiziere waren, die Shades bekanntlich verabscheuten. Während der schwarze Derwisch über die Tanzfläche flog, klatschten, schrien und lachten die Zuschauer. Nach zwei oder drei atemlosen Minuten war la danse sauvage vorbei und ließ das Publikum fassungslos und benommen zurück.
Als Nächstes trat eine Gruppe von Männern auf, die Schnulzen sangen und offensichtlich in Monsieurs Ansehen nicht so hoch standen wie die Tänzerin. »Ist sie nicht umwerfend?«, fragte Louverture atemlos und wischte sich den Schweiß von der Stirn, ohne den verzückten Blick von der Bühne abzuwenden, auf der soeben Josephine Baker getanzt hatte. Tja, dachte Ella, der Kerl ist verknallt.
Louverture war offensichtlich die Lust vergangen, über Geschäftliches zu reden. In den nächsten zehn Minuten widerstand er sämtlichen Versuchen Ellas, ihn darauf festzulegen, Warschau mit Blut zu versorgen. Nicht einmal die Aussicht auf zwölf Millionen Guineen schien seine Kompromisslosigkeit aufweichen zu können. Sie war gerade dabei, sich ihre Niederlage einzugestehen, als sie eine Frau in einem Umhang aus blau schimmernder Seide neben sich bemerkte, deren Farbe wie geschaffen war, um ihre dunkle Hautfarbe hervorzuheben. Josephine Baker musterte Louverture und seine Gäste mit ihren großen dunklen Augen.
Als Ella sie ansah, wurde ihr bewusst, dass die Fotos, die sie von ihrer Heldin gesehen hatte, ihr nicht gerecht wurden. O ja, sie war genauso geschmeidig wie auf den Bildern, ihr Haar war geglättet, wie es ihrem Markenzeichen entsprach, und zu einem strengen, fast männlichen Bubikopf frisiert, und ihre Augen waren genauso ausdrucksstark und verführerisch, wie Ella sie sich vorgestellt hatte – doch kein Foto wäre in der Lage gewesen, die ungeheure Vitalität einzufangen, die von dieser Frau ausging. Allein, wie sie dastand, eine Hüfte vorgeschoben, und zu Louverture hinablächelte, schien sie vor Energie und zügellosem joie de vivre zu pulsieren.
»Louffie, Darling, willst du mich deinen neuen Freunden denn nicht vorstellen?«
Louverture und Vanka sprangen so hastig auf, dass der Tisch schwankte. » Ma cherie «, sülzte Louverture und küsste der Tänzerin die Hand. »Darf ich dich mit Oberst Vanka Maykow und seiner Begleiterin, Mademoiselle Ella Thomas, bekannt machen? Oberst, Mademoiselle, ich habe die große Ehre, Ihnen die Schwarze Venus vorzustellen … die Shade-Göttin … Mademoiselle Josephine Baker.« Josephine reichte Vanka die Hand, woraufhin er sich verbeugte und ihr ebenfalls die Hand küsste. Dann rutschte sie auf den Sitz neben Louverture und belohnte ihn mit einem koketten kleinen Wangenkuss. Während Louverture ihr ein Glas Champagner einschenkte, sah sie Ella an und lächelte.
»Sind Sie Tänzerin, meine Liebe?«, fragte Josephine. »Jedenfalls hätten Sie das richtige Fahrgestell dafür.«
»Ich war tatsächlich Tänzerin, als
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