Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Veröffentlichungsversprechen nahe, außerdem wurde Arndt durch den Verlagswechsel und seinen beruflichen Erfolg von Thomas Wille abgelenkt. Er war irgendwann kein Thema mehr.
Und nun das hier.
Es scheint umfangreicher zu sein, als beim letzten Mal. Vermutlich überarbeitet. Arndt will wissen, ob es den Reiz des Andersseins konserviert hat, und öffnet die Schnur, die das Paket zusammenhält. Es klingelt und er hebt den Hörer ab. Seine Sekretärin erinnert ihn an einen Termin. Also wird er das Manuskript später lesen.
Zuerst wird er ein Gespräch führen, das sich nicht vertagen lässt.
Die blonde Frau kommt an seinen Tisch im Café Einstein. Das Wiener Caféhaus hat einen Charme, der zu Marita Rikolas Ausstrahlung passt.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Frau Rikola.« Arndt erhebt sich und reicht ihr die Hand. Sie sieht darüber hinweg und nimmt Platz. Sie schlägt ihre Beine übereinander, eine selbstbewusste Frau, etwas mollig, aber gewiss eine, auf die Heteros abfahren. Verlegen zieht Arndt seinen Arm zurück. Er versucht, Fassung zu bewahren und sagt, bevor der Kellner kommt: »Es war einfach, Ihre Telefonnummer zu finden. Mike hat sie noch immer in seinem Schreibtisch.«
» Warum auch nicht ...«, sagt sie leichthin und bestellt sich einen Kaffee Melange. »Schließlich waren wir zehn Jahre zusammen, ich bin ihm nach Berlin gefolgt und musste mit ansehen, wie er sich veränderte ... bis hin zu ...« Sie kneift ihre Lippen zusammen.
Arndt lächelt still. »Das ist nicht so selten, wie Sie glauben. Viele Männer sind sich über ihre sexuelle Orientierung nicht wirklich im Klaren.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich begreife es nicht. Nicht, dass ich was gegen Homosexuelle habe, aber doch nicht Mike.«
» Und deshalb versuchen Sie, ihn zurückzugewinnen?«, platzt Arndt heraus.
Sie hebt die Brauen. »Wie kommen Sie darauf?«
» Sie treffen sich mit ihm und Mike ist eindeutig verändert. Er nimmt Abstand zu mir und ich sorge mich um unsere Beziehung.«
» Ihre Ehrlichkeit adelt Sie, Herr Emmerling, aber Sie täuschen sich. Liebe Güte, deshalb also haben Sie sich mit mir verabredetet?«
» Ja.«
» Ich dachte, es hätte einen wichtigeren Grund.«
» Welcher sollte das sein?«
Sie sieht ihn aufmerksam an, nippt an ihrem Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. »Sie wissen es nicht.«
Arndt stutzt. »Was meinen Sie?« Er lehnt sich vor, die Ellenbogen auf das Tischchen gestützt. »Bitte keine Geheimnisse. Ich liebe Mike, verstehen Sie?«
» Deshalb trifft er sich mit mir. Mir sagt er alles, und vermutlich braucht er das, denn Ihnen will er sich offenbar nicht anvertrauen.«
» Ich verstehe immer noch nicht ...«
Sie lacht leise und wirft den Kopf dabei zurück. »Typisch Mike. Alles muss einer inneren Dramaturgie folgen und ich muss die Suppe auslöffeln. Er will Sie nicht belasten, deshalb weint er sich bei mir aus. Er weiß selbstverständlich, dass Sie es irgendwann erfahren, und er wird dastehen wie ein Held, der seinen Liebsten ...«
» Verdammt!«, fährt Arndt auf. »Reden Sie nicht Drumherum. Was ist los?«
Sie drückt die Zigarette aus und sieht Arndt direkt an. »Mike ist mit dem HI-Virus infiziert.«
Arndt hat von dieser Krankheit gehört. Seine Nackenhaare stellen sich auf und in seinem Magen wächst ein Stein. Seit drei Jahren geistert diese Krankheit durch die Schwulenszene, wird jedoch nicht wirklich ernstgenommen. Allerdings meint man seit zwei Monaten, den Krankheitsherd ausfindig gemacht zu haben und empfiehlt den Schwarzafrikaner, sich auf den HI-Virus testen zu lassen. Die Krankheit war dadurch aufgefallen, dass überdurchschnittlich viele Bluter erkrankten, also verseuchtes Spenderblut erh alten hatten.
» Deshalb haben Sie mir nicht die Hand gegeben?«, fragt er.
» Unsinn, schließlich nehme ich Mike in den Arm.«
Arndt sieht, dass sie lügt.
»Soviel ich weiß, wird die Krankheit durch Sperma und Sexualkontakt übertragen, und zwar nur dort, wo es offene Wunden gibt«, sagt er. »Nicht durch einen Händedruck.«
» So ist es. Offene Wunden in Schleimhäuten. Sind Ihre Praktiken nicht prädestiniert dafür, Schleimhäute zu verletzen? Soll ich Ihnen das erklären?«
Arndt wird rot und senkt den Blick.
»Um es zu wiederholen: Mike hat diese Krankheit, ich glaube, man nennt sie auch Aids. Sein Immunsystem bricht immer mehr zusammen und er wird vielleicht bald sterben. Deshalb hält er sich von Ihnen fern. Deshalb zieht er sich zurück. Er hat mir
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