Die Mitternachtsrose
erschöpft fühlte. Schließlich feierte sein Unternehmen einen Erfolg nach dem anderen. Besonders in letzter Zeit, da die Finanzkrise Amerika und Europa gezwungen hatte, sich nach Indien mit seinen kostengünstigeren Möglichkeiten zu orientieren. Es gab mehr als genug zu tun, und genau das, dachte Ari seufzend, war das Problem. Die Suche nach zuverlässigem, gut ausgebildetem Personal, das ihm helfen konnte, die Auftragsflut zu bewältigen, erwies sich als Albtraum. Was zur Folge hatte, dass er für zehn arbeitete.
Lali lag ihm wegen eines Urlaubs in den Ohren und zeigte ihm immer wieder Broschüren über ruhige Strandresorts. Sie schien nicht zu begreifen, dass daran momentan nicht zu denken war.
» Sobald ich Leute finde, auf die ich mich verlassen kann, fahren wir, das verspreche ich dir. «
» Ari, Schatz, das sagst du jetzt schon drei Jahre lang « , seufzte sie dann traurig und warf die Kataloge in den Papierkorb.
Nach solchen Auseinandersetzungen beruhigte Ari sein schlechtes Gewissen für gewöhnlich damit, dass er ihr Sachen mitbrachte, die seine Sekretärin für ihn ausgesucht hatte, Schmuck oder ein Kleid aus einer von Lalis Lieblingsboutiquen. Außerdem entschuldigte er sich wortreich bei ihr und versprach, abends nicht mehr so spät nach Hause zu kommen und sie zum Essen auszuführen. In den folgenden Tagen diskutierten sie ausführlich, wie sie mehr Zeit miteinander verbringen könnten, doch eine Woche später arbeitete Ari dann schon wieder achtzehn Stunden am Tag wie zuvor.
Als er aufstand, um sich einen neuen Gin Tonic zu holen, musste er zugeben, dass er sie aus Frustration manchmal anschrie.
» Wie sonst soll ich die Hypothek für dieses Apartment bezahlen? Oder all die hübschen Kleider in deinem Schrank? «
Sie antwortete immer das Gleiche. » Es ist mir egal, wo ich wohne oder was ich anhabe. Das ist dir wichtig, Ari, nicht mir. «
Natürlich stimmte das nicht, dachte er, als er auf die Terrasse hinaustrat und aufs Arabische Meer blickte. Sie redete sich nur ein, dass ihr all das nicht fehlen würde.
Ari wusste, dass sie abgesehen von seiner Arbeitsbelastung noch ein viel größeres Problem hatten. Lali war fast dreißig und wollte endlich heiraten. Das konnte er ihr nicht verdenken. Vier Jahre zuvor war sie, darauf vertrauend, dass er ihr bald einen Heiratsantrag machen würde, gegen den Willen ihrer Eltern zu ihm gezogen. Doch sosehr er sich auch bemühte: Ari konnte sich einfach nicht dazu durchringen, die Worte zu sagen, die sie hören wollte. Warum, konnte er sich nicht erklären, weil kein Zweifel daran bestand, dass er Lali liebte. Sie war wunderschön, und ihre sanfte, ruhige Art glich seine Impulsivität aus. Er musste seinen Freunden zustimmen: Sie war genau die Richtige für ihn.
Worauf wartete er also noch? Er war sechsunddreißig und vor Lali mit einer ganzen Reihe toller Frauen zusammen gewesen. Doch sein Instinkt hinderte ihn daran, den entscheidenden Schritt zu wagen.
In den vergangenen Wochen war ihm aufgefallen, dass sie sich von ihm zurückgezogen hatte und oft nicht da war, wenn er nach einem langen, harten Arbeitstag nach Hause kam. Sie behauptete, mehr Zeit im Fitnessstudio oder mit Freundinnen zu verbringen. Wer konnte ihr das verdenken? Wenn er daheim war, nahm er oft gar keine Notiz von ihr.
Ari ging hinein und machte sich in der großen Wohnung auf die Suche nach ihr. Sie fehlte ihm und schien ihm nicht einmal einen Zettel oder eine SMS hinterlassen zu haben, um ihm Bescheid zu geben, wo sie sich aufhielt. Er duschte, holte die Reste vom Vorabend aus dem Kühlschrank, erhitzte sie in der Mikrowelle, schenkte sich ein Glas Wein ein und setzte sich ins Wohnzimmer, wo er den riesigen Fernseher einschaltete und herumzappte, bis er bei einem englischen Fußballspiel landete. Obwohl er jede Menge Arbeit gehabt hätte, konnte er sich, müde, wie er war, nicht dazu durchringen, sie anzugehen.
Das einzig Positive war im Moment ein junger Verkäufer, den er zwei Jahre zuvor eingestellt hatte und der sich sehr gut machte. Ari hatte ihn einige Wochen zuvor zu sich gerufen, um ihm die Betreuung des indischen IT -Markts zu übertragen, der sich genauso rasant entwickelte wie die indische Gesamtwirtschaft. Wenn Dhiren sich in den folgenden sechs Monaten bewährte, glaubte Ari, Geschäftsführerpotenzial in ihm zu sehen.
In drei Wochen wollte Ari zu einem Treffen mit potenziellen Kunden nach London. Während seiner Auslandsaufenthalte brauchte er jemanden, der zu Hause
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