Die Mondrose
Namen nannte.
»Charles?«
Der kleine Junge sprang auf und nahm vor dem Stuhl Haltung an wie ein Miniatursoldat.
»Charles, das ist deine Base Hedwig. Ist es nicht schön, eine Base zu haben und eine Familie zu sein? Wenn du willst, kannst du mir helfen, Hedwig zu beschützen. Wir wollen ihr gute Beschützer sein, nicht wahr? Wir wollen sie hüten wie unseren Augapfel.«
Nur einen Herzschlag lang zögerte Charles, sah von seinem Vater auf das fremde Mädchen und rang die kleinen Hände. Dann lief er auf seinen kurzen Beinchen dem Vater entgegen, wie er es viele Male getan hatte, um ins Leere zu rennen und unbeachtet zu bleiben. Diesmal blieb er nicht unbeachtet. Der Vater ging in die Hocke, umfasste die Handgelenke des Mädchens und öffnete mit ihr die Arme. Mit Hedwig dazwischen umarmte er seinen Sohn. Schmerz und Zorn pressten Sukie das Herz zusammen, und das Schlimmste von allem war der Ausdruck auf Charles’ Gesicht. Das selige Lächeln, das sie hinderte, auch nur ein Wort zu sagen.
Sie war nicht mit Geistesgaben gesegnet, ihr Vater hatte sie dümmer als eine Wanze genannt, aber dies erkannte sie sofort: Wenn Charles’ Weg zum Herzen seines Vaters über dieses Mädchen führte, so würde er ihn gehen. Und ihr, seiner Mutter, blieb keine Wahl, als ihn gewähren zu lassen und das Mädchen zu dulden, wenn sie ihr Kind nicht zerreißen wollte.
»Guten Abend, Hedwig«, sagte Sukie und fand, dass sie wie die Puppe eines Ventriloquisten aus der Music Hall klang. »Sei willkommen in unserem Haus.«
Charles drehte sich um, und die beiden anderen hoben die Köpfe. Victor sandte ihr ein dankbares Lächeln, und Charles strahlte in ahnungsloser Seligkeit. Einzig Hedwig verzog nicht den Mund. Mit ihren riesigen runden Augen starrte sie Sukie an, und ihre Schultern zitterten. Vielleicht war sie im Kopf nicht richtig. Vielleicht waren sie mit einem Balg geschlagen, das beim Essen sabberte und keinen menschlichen Laut hervorbrachte.
»Ich schüre das Feuer höher«, murmelte Sukie. »Hedwig muss sich aufwärmen.« Sie wandte sich ab und blickte in die blakenden Flammen, bis deren Rot ihr die Sicht nahm und das Bild des Mädchens verschwamm.
Um sich am Bau der Devastation zu beteiligen, war Hector zu spät gekommen. Edward Reed jedoch war ein Genie, das vor Ideen barst, und bei einem einzigen Schiff wollte er es auf den Docks von Portsmouth keineswegs belassen. Eine ganze Flotte von Schiffen musste her, um auszuprobieren, was mit den neuen Techniken machbar war. Nur der Himmel war die Grenze. Hector investierte Geld in ein flugs gegründetes Unternehmen, das ein Panzerschiff namens Captain finanzierte. Die Kontrollbehörde hatte gegen Reeds Pläne Einspruch erhoben, aber etwas anderes war bei der revolutionären Bauweise auch kaum zu erwarten. War das Schiff erst fertig, würde die Marine es mit offenen Armen aufnehmen, daran hegte Hector nicht den geringsten Zweifel.
Anders als die Devastation würde die Captain mit Masten ausgestattet sein, doch zum Ausgleich besaß sie eine Anzahl Neuerungen, die noch gänzlich unerprobt waren: Sie verfügte über drehbare Schießtürme, wodurch sie weit weniger schwere Geschütze brauchte als herkömmliche Schiffe. In Gänze aus Eisen gebaut, benötigte sie keine Wanten und Stagen, die sie stützten und beim Feuern hinderlich waren, sondern lediglich zwei eiserne Seitenstreben. Hector verliebte sich in das Schiff, noch ehe es fertiggestellt war. Die Captain war, wie er sich das Leben wünschte – stark und unerschrocken und von einer Schönheit, die schwache Naturen nicht zu ertragen vermochten.
Gerade erst war er beim feierlichen Stapellauf des Schiffs als Finanzier genannt worden, als die Portsea Building Society kollabierte. Kein Mensch erwartete, dass ein Mann wie er sein Geld in einer Bausparkasse für arme Schlucker hatte, und das ersparte ihm die Schande. Er behielt seine Bonität. Der Geschichte von einer vorübergehenden Kapitalbindung, die er Geschäftspartnern erzählte, wurde Glauben geschenkt. Der Verlust war erheblich, aber er brach ihm nicht den Hals.
Es war nicht das verlorene Geld, das ihm zusetzte, sondern die Niederlage. Sein Nervenleiden, das unsägliche Kribbeln in den Gliedern und ein Gefühl, von seinem Versagen am ganzen Leib beschmutzt zu sein, quälte ihn über Wochen. Er hatte sich fest vorgenommen, mindestens ein Jahr lang abstinent zu bleiben und keine Briefe zu schreiben. War die Kuh ausgemolken, ehe der Höhepunkt erreicht war, hätte er das
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