Die Mondrose
Gläser neu. »Das Spiel, das du treibst, ist gefährlich, Mildred. Und ich glaube nicht, dass ich es mitspielen will.«
»Ich auch nicht«, sagte Mildred. »Ich will nicht spielen.« Dass du mich liebst, will ich. Weil sie helle, zierliche Männer begehrte, nicht dunkle, die Kraft und Gefahr ausstrahlten, hatte sie nie bemerkt, wie schön er war, wie ebenmäßig dieser mächtige Körper gebaut war und mit welcher Geschmeidigkeit er sich bewegte. Ein schönes, gefährliches Tier war er, und sie wollte, dass dieses Tier sich ihr ergab. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, gescheitert und geschlagen, sie wollte, dass er sie hielt und ihr sagte, für ihn sei sie die einzige Frau auf der Welt.
Er machte einen Schritt auf sie zu.
Sie trank ihr Glas leer, fühlte, wie der Gin in ihrem Kopf rumorte, und nahm ihm die Flasche ab. Als sie ihnen beiden nachgeschenkt hatte, war die Flasche leer. Sie streckte die Hand aus und berührte mit zwei Fingern seinen Hals, fühlte sein Blut, das heftig pochte. Im Kerzenlicht sah sie den Schweiß, der in Perlen auf seine Stirn trat. Sie tranken beide, als würde der Gin ihren Durst löschen, obgleich er in Wahrheit ihre Kehlen ausbrannte.
Noch einmal stöhnte Victor auf, dann konnte er nicht mehr. Statt ihr weh zu tun, wie er es vielleicht gewollt hätte, warf er das Glas zu Boden, wo es zerschellte. Sie ließ ihres ebenfalls fallen, und im nächsten Augenblick lag sie in seinen Armen. Sie hatte keinen Wunsch mehr, als all den nassen Stoff von ihrer Haut hinunterzuzerren und stattdessen seine Wärme zu spüren. Es ging schnell. Auf dem Bett zog er eine Decke über sie beide, aber Mildred fror nicht mehr. Sie schrie, weil sie ihn so sehr wollte, griff in sein Fleisch, in die eisenharten Stränge der Muskeln, und schrie noch einmal, als er in ihr kam. Sein Körper war ein starkes, schönes Tier, und ihrer war auch eines, und was die Tiere wollten, das nahmen sie sich, ohne sich darum zu scheren, was die Welt von ihnen hielt.
Sie hatte nicht gewusst, dass Lieben so sein konnte. So, dass nichts anderes daneben vonnöten oder auch nur denkbar war.
Teil III
Esther
»Lavender’s green, dilly dilly,
Lavender’s blue.
If you love me, dilly dilly,
I will love you.«
Kapitel 33
Portsmouth, Frühling 1882
D u musst mitkommen, Lydia, ich flehe dich an. Wenn du nicht mitkommst, gehe ich auch nicht hin.«
Lydia musste lachen. »Auf gar keinen Fall!«, rief sie in den von stürmischen Böen gepeitschten Regen. »Ich habe nicht einmal ein Kleid, das ich auf solch illustrem Anlass anziehen könnte.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Esther gleichmütig. »Das heißt, ich habe den ganzen Schrank voller Kleider, weil Mildred immer neue hineinstopft, aber ich vergesse grundsätzlich, mich umzuziehen. Außerdem ist es kein illustrer Anlass, sondern Noras Geburtstag. Ich habe Nora schon gesagt, dass du kommst, und sie freut sich so.«
»Du bist unmöglich.« Trotz des Regens, der ihre einzige Haube durchweichen würde, blieb Lydia stehen. »Nora kennt mich doch gar nicht. Weshalb sollte sie sich freuen, wenn ich auf ihrem Geburtstag auftauche?«
»Weil die arme Nora niemanden kennt«, gab Esther zurück. »Nur alte, langweilige Bekannte ihrer Eltern wie Andrew Ternan und Philip Lewis. Sie ist selig, wenn ein bisschen Leben ins Haus kommt.« Kurzerhand packte Esther Lydia am Ärmel und zog sie unter das Vordach des Schulgebäudes. Diese Schule – die Portsmouth High School for Girls – war vor drei Jahren gegründet worden und stellte eine kleine Sensation dar. Sie war die erste weiterführende Schule für Mädchen in ganz Hampshire. Lydia unterrichtete hier, und Esther hatte es ihrer Familie abgetrotzt, die Schule besuchen zu dürfen. Sie war so klug, wie sie fleißig war, und wollte Medizin studieren. Eine Schande, dass sie in diesem Land kaum die Möglichkeit dazu erhalten würde, sondern nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten auswandern musste. Schon jetzt, anderthalb Jahre vor ihrem Abschluss, sparte Esther jeden Penny, um sich die erträumte Zukunft leisten zu können.
Für Lydia war sie mehr als eine Lieblingsschülerin – trotz der sieben Jahre Altersunterschied betrachtete sie Esther als ihre Freundin. Seit sie einander im Sankt-Joseph-Spital begegnet waren, hatten die beiden sich nie wieder aus den Augen verloren. Den hingerissenen Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes, das von einer Entfernung des Appendix berichtete, würde Lydia für immer im Gedächtnis bleiben. Wenn je
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