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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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er eine Kiste in den Händen, die er über den Tisch zu Esther schob. »Hier. Für dich. Vielleicht kannst du etwas davon brauchen.«
    Verwirrt starrte Esther auf die Kiste, die bis an den Rand mit Büchern gefüllt war. Sie nahm einen schmalen, in Leder gebundenen Band heraus und las den Titel auf dem Einband: David Brewster , Polarisation des Lichts. Noch verwirrter blickte sie auf. Horatio wirkte merkwürdig verlegen.
    »Was ist das?«
    »Meine Bücher aus Oxford«, murmelte Horatio. »Ich habe mir sagen lassen, physikalische Kenntnisse seien für Mediziner nachgerade unentbehrlich.«
    Vor Verblüffung entglitt ihr das Buch. »Du gibst mir deine Bücher zum Studieren? Aber du denkst doch, Frauen, die studieren, tragen zum Verfall der Sitten bei und kosten unnütz Geld …«
    Georgia grinste und zwinkerte Lydia zu. »Ich glaube, neuerdings handelt er sich mächtig Ärger ein, wenn er in der Gegend herumposaunt, was er so denkt.«
    Ein wenig gequält erwiderte Horatio das Grinsen. »Es ist nicht gerade nett, einem Mann das dumme Zeug, das er irgendwann von sich gegeben hat, vorzuhalten. Man darf seine Meinung ändern, oder nicht?«
    Lydia hatte die ganze Zeit über still dagesessen und ihn keines Blickes gewürdigt. »Hast du deine Meinung geändert?«, fragte sie jetzt, noch immer ohne ihn anzusehen.
    Sie sollte das nicht tun, dachte Esther. Es ist eine noble Geste von ihm und ein großer Schritt – sie sollte ihn nicht noch zwingen, vor allen Leuten sein Gesicht zu verlieren.
    Horatio sah Esther, nicht Lydia an. »Ich bin Naturwissenschaftler«, sagte er. »Die sind dafür bekannt, dass sie erst Hunderte von Versuchsreihen absolvieren, ehe sie ein festgefahrenes Urteil über den Haufen werfen. Ich habe beschlossen, die Versuchsreihe Esther Weaver aufmerksam zu verfolgen. Genügt das für den Anfang?«
    »Aber ja!«, rief Esther und hätte ihm gern applaudiert.
    »Glück gehabt«, brummte Lydia. »Machen wir Frauen es den Männern nicht himmlisch einfach?«
    Sie war ungerecht. Wenn er jetzt aufbegehrte und ihr eine seiner ätzenden Antworten gab, konnte sie ihm keinen Vorwurf machen.
    Er nahm ihre Hand und senkte die Lippen darauf, ohne die Haut zu berühren, und doch so, dass seine Sehnsucht für niemanden zu übersehen war. »Nein«, sagte er, »ihr macht es uns nicht einfach. Aber wer will es schon einfach haben, wenn er es himmlisch haben kann?«
    Esther war bei weitem nicht das einzige Mädchen am Tisch, das lächeln musste, aber Lydia lächelte nicht. Immerhin wandte sie Horatio ihr Gesicht zu. »Ist es dir ernst?«, fragte sie ihn. »Meinst du dann nicht, Esther könnte diese Schrift besser gebrauchen?« Sie zog aus ihrer Tasche ein Heft und schob es ihm hin. Es war die zerlesene Ausgabe eines Magazins, dessen Titelblatt eine Frau in einem chemischen Labor zierte. Als Schlagzeile stand darunter: »Frauen im Studium der Naturwissenschaften«. Ein wenig erschrocken las Esther den Namen der Verfasserin. Nein, einfach machte Lydia es Horatio wahrhaftig nicht. Wenn er auf eine goldene Brücke gehofft hatte, so hatte er sich getäuscht.
    »Das kann ich nicht beurteilen«, sagte Horatio. »Ich habe es ja nicht gelesen, aber Esther unterrichtest du, nicht ich.« Damit schob er das Heft über den Tisch zu Esther.
    Ehe sie danach greifen konnte, schnappte es sich der blonde Offizier, der mit Phoebe getanzt hatte. »Lydia Becker«, las er, als spräche er den Namen eines Kriechtiers aus. »Ist das nicht dieses Mannweib, das fordert, wir sollten Frauen an die Wahlurnen lassen? Sie heißen doch auch Lydia, oder? Sagen Sie bloß, Sie sind nach dieser Xanthippe benannt? Einen Mann hat die natürlich nicht abbekommen, und wenn Sie nicht aufpassen, geht es Ihnen am Ende ebenso.«
    Esther sah, wie Lydia vor Zorn erbleichte, doch ehe sie den Mund öffnete, sprach Horatio. »Wenn Sie nicht aufpassen, bekommen Sie am Ende ab, was Sie nicht wollen«, sagte er ruhig, aber in einem Ton wie geschliffenes Glas.
    »Wie meinen Sie das?«, platzte der Offizier heraus. Er musste in Horatios Alter sein, wirkte jedoch jäh um Jahre jünger.
    »Miss Burleigh könnte mehr Männer bekommen, als Theben Tore hat«, versetzte Horatio schneidend. »Wenn die Männer von ihr gewogen und zu leicht befunden werden, liegt es an den Männern, nicht an ihr.« Geschmeidig erhob er sich und verneigte sich vor Lydia. »Ich würde gern mit dir tanzen.«
    Lydia war noch immer bleich vor Zorn. »Ich kann mich allein verteidigen«, schnauzte sie ihn an.

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