Die Mondrose
noch andere Männer als Horatio.« Sie kam sich grausam vor. Hätte man ihr gesagt, es gebe ein anderes Leben als das einer Ärztin, hätte sie ein Wort davon ertragen?
Phoebe weinte laut auf und klammerte sich an ihr fest, während Chastity sich in ihre Armbeuge drängte. »Aber die Mutter«, schluchzte sie, »die Mutter hat doch alle Hoffnung auf mich gesetzt, und ich bin zu hässlich und zu dumm, um ihr auch nur ein bisschen Freude zu machen.«
»Dumm bist du allerdings, wenn du meinst, dass ausgerechnet Horatio ihr Freude machen würde«, bemerkte Georgia. »Was glaubst du eigentlich, was die Mutter von dir will?«
Phoebe hielt inne und rieb sich die Augen trocken. »Dass ich glücklich bin«, erwiderte sie ernst. »Und das wollt ich doch auch sein, aber ich weiß ja nicht einmal, wie ich’s anstellen soll.«
Es war wie in der Kindheit, wenn Mildred mit ihnen in den Süßwarenladen gegangen war. Chastity musste zur Strafe für irgendetwas daheimbleiben, Georgia und Esther bekamen ein Tütchen mit ein paar Rhubarb and Custards, und Phoebe wurde angewiesen, sich unter all den Herrlichkeiten auszusuchen, was immer ihr Herz begehrte. Sie hatte sich nie entscheiden können, hatte sich um und um gedreht, bald nach diesem, bald nach jenem geschaut, was die Schwestern ihr zeigten, bis sie in Tränen ausbrach und sich einen Katzenkopf von Mildred fing. »Beim Herrgott, da will man dem Kind eine Freude machen, und das ist der Dank!«, pflegte Mildred vor dem betretenen Ladenbesitzer auszurufen.
Erging es Phoebe jetzt ebenso? Hatte sie sich, während Mildred eifrig respektable Junggesellen vor ihr auf und ab paradieren ließ, auf Horatio verlegt und wusste jetzt, da sie mit dieser Wahl gescheitert war, nicht weiter? »Vielleicht musst du erst einmal herausfinden, was dich glücklich macht«, schlug Georgia ihr vor.
»Was mich glücklich macht?«, fragte Phoebe verwundert. »Nun, ein Ehemann natürlich. Eine eigene Familie und ein eigenes Heim. Würde dich das nicht glücklich machen, Georgia? Hättest du es nicht gern?«
Ein wenig verlegen kratzte Georgia sich am Kopf. »Ich weiß nicht«, antwortete sie endlich. »Mein Heim ist Mount Othrys, denke ich.«
Das war eine sonderbare Antwort, aber Esther kam sie treffend vor. Von ihnen allen half nur Georgia Mildred im Hotel. Sie tat es nicht, weil Mildred es verlangte, sondern aus freien Stücken, weil sie sich in den weiten Sälen und verwunschenen Suiten des Hotels in ihrem Element fühlte. Etwas davon fühle ich auch, durchfuhr es Esther. Keine Verbundenheit mit Mildreds Hotel, aber ein Gefühl von Zugehörigkeit, wenn vier Schwestern in weißen Rüschenhemden wie Nachtgespenster auf einem Bett hocken. Es war still geworden. Nur Chastity wimmerte noch immer vor sich hin.
»Wünschst du dir denn keinen Mann?«, fragte Phoebe Georgia. »Und auch keine Kinder?«
Georgia zuckte mit den Schultern. »Ich denke, es lohnt sich nicht sonderlich, sich Dinge zu wünschen, die man sowieso nicht bekommt«, antwortete sie. »Und wie steht’s mit dir, meine Grille? Wünschst du dir denn so herzzerreißend dringlich einen Mann?«
»Ich?« Phoebe überlegte und nagte auf ihrer Unterlippe. »Ich weiß nicht, aber die Mutter …«
»Die Mutter hat einen«, versetzte Georgia trocken. »Weshalb ich mich, um ehrlich zu sein, frage, warum sie ohne Unterlass darauf herumhackt, dass du glücklich werden musst.«
»Es soll eben einer in dieser Familie glücklich werden«, wiederholte Phoebe einfältig, was die Mutter ihr so häufig vorsprach.
»Und warum du? Warum nicht sie selbst?«
Darauf wusste Phoebe keine Antwort. »Sie ist es eben nicht«, beharrte sie.
»Aber sie hat doch Mount Othrys!«, entfuhr es Esther, weil sie so immer gedacht hatte. Mildred liebte und hätschelte ihr Hotel wie einen Menschen, sie streichelte seine Wände und wählte jedes Stück seiner Ausstattung selbst. Machte es sie nicht glücklich? Auf einmal musste sie an Lydia und Horatio denken, an ihre Blicke, ihr Flüstern und ihr Lächeln. Waren ihr Vater und Mildred je so glücklich miteinander gewesen, und wohin war dieses Glück verschwunden? An ihre Mutter zu denken wagte sie nicht. Wer immer hinter vorgehaltener Hand darüber sprach, fragte früher oder später dasselbe: Wie sterbensunglücklich muss eine Frau sein, um ihr eigenes Kind im Stich zu lassen? Esther, die dieses Kind gewesen war, hatte vor der Antwort auf die Frage Angst.
Durch die Stille der Nacht drang Chastitys Wimmern. Ruppig fuhr
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