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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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hinter den Kastanien verschwanden. Horatio nahm ihre Hand, und gemeinsam liefen sie durch den strömenden Regen zurück zu ihrem Haus. Drinnen verschloss er alle Riegel, entzündete nur eine Lampe und wandte sich ihr zu. In seinem schwarzen Haar glänzten Tropfen, er lächelte nicht, nur in seinen Augen stand ein Leuchten. Lydia hatte sich vor diesem Moment gefürchtet, aber jetzt spürte sie, wie sehr sie ihn zugleich herbeigesehnt hatte. »Wir sind allein«, stellte sie fest.
    »Nein«, sagte er, zog sie an sich und grub sein Gesicht in ihr Haar. »Nie mehr, Liebste. Wir sind nie mehr allein.«
    Als sie in dieser Nacht in seinen Armen lag, begriff sie, dass sie nicht den größten Fehler ihres Lebens begangen hatte, einerlei, was ihr bevorstand. Sie begriff, dass Glück keine Errungenschaft war, die man sich durch Fleiß und Vernunft verschaffen konnte, sondern ein seltenes Geschenk, um es verwundert und demütig anzunehmen. Dass sie mit Horatio glücklich war, begriff sie, und dass ihr Glück sie ein Stück weit tragen würde, wenn der Weg steinig wurde oder Erschöpfung sie übermannte.

Kapitel 37
    Winter
    L ydias Hochzeit war das schönste Fest, das Esther je besucht hatte. Dass Menschen miteinander so ausgelassen feiern konnten, dass sie tanzten, lachten und alle durcheinanderredeten, nicht förmlich warteten, bis sie einander vorgestellt wurden, sondern sich selbst bekannt machten, war gänzlich neu für sie. Die Frauen aus Lydias Vereinigung hatten sie in ihren lärmenden, herzlichen Kreis gezogen, als wäre sie eine von ihnen. Rebecca, ihre Wortführerin, war eine herbe schwarzhaarige Schönheit, die in London Jura studierte. Jahr um Jahr musste sie aufs Neue um ihre Zulassung kämpfen.
    »Glauben Sie wirklich, Sie tun das Richtige, indem Sie auswandern, statt Ihr Studium hier durchzufechten?«, fragte sie Esther, nachdem sie sich nach ihren Plänen erkundigt hatte. »Was soll aus der Sache der Frauen werden, wenn ihre besten Streiterinnen die Waffen strecken?«
    »Wer streckt denn die Waffen?«
    »Nun, Sie zum Beispiel gehen ins Ausland. Und eine strahlende Amazone wie Lydia Burleigh läuft den Feinden in die Falle und heiratet einen ihrer schärfsten Hunde.«
    »Mein Bruder wird gut zu Lydia sein«, mischte sich Nora mit verhuschter Stimme ein. Sie war noch dürrer geworden und musste sich an der Wand abstützen. »Wirklich, das müssen Sie mir glauben. Er hat sie innig lieb – gerade so, wie sie ist.«
    Dass er das tat, stand außer Zweifel, und ein schöneres Paar als Lydia und Horatio konnte es unmöglich geben.
    Rebecca wandte sich Nora zu und musterte sie mit einem Interesse, wie es ihr selten zuteilwurde. »Sie müssen sich setzen«, sagte sie dann. »Statt um Ihren Bruder sollten Sie sich schleunigst um sich selbst sorgen.«
    Esther hatte auch jemanden, um den sie sich schleunigst sorgen musste, so gern sie im Kreis der Frauen verweilt hätte – ihre Schwester Phoebe brauchte sie. Dass sie Horatio liebte, hatte sie Esther in der Nacht zuvor gestanden – unter solchen Tränenfluten, dass die kleine Chastity ebenfalls zu weinen begann und Georgias Versuche, dem Schmerz durch flapsige Bemerkungen die Schärfe zu nehmen, ungehört verhallten. Die Mutter habe ihr doch immer gesagt, sie werde eines Tages den Mann bekommen, den sie sich wünsche, schluchzte Phoebe, die Mutter habe alles dafür getan und werde furchtbar enttäuscht sein. »Sie hat gesagt, ich soll die eine von uns sein, die glücklich ist!«, rief sie und brach erneut in Tränen aus.
    Inbrünstig versicherte sie, dass sie sterben wolle, und Esther glaubte ihr. Sie hatte noch nie einen Mann geliebt, aber sie wünschte sich etwas so innig, wie Phoebe sich Horatio wünschte. Wäre ihr Traum vom Medizinstudium, der kurz vor der Erfüllung stand, geplatzt, so wäre auch sie überzeugt gewesen, ihr Leben habe keinen Inhalt mehr.
    Auf die Hochzeit war Phoebe trotz des prachtvollen azurblauen Krinolinenkleides geschlichen wie ein geprügelter Hund. Ihre vom Weinen verschwollenen Augen und ihre zusammengesunkene Haltung sprachen Bände, und nach der Zeremonie, im Windfang von Lydias reizendem Haus, hatte Mildred sie deswegen ausgescholten. Esther lief durch alle Räume, an fröhlich schwatzenden Gästen vorbei und suchte nach ihrer Schwester. Sie fand sie nicht, stieß aber an der Tür auf Mildred, die das Haus gerade betreten haben musste. »Was willst du?«, herrschte sie Esther an.
    »Ich suche Phoebe«, bekannte diese.
    »Die wirst du auf

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