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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Lächeln, »kümmere dich nicht um mich, Milly-Milly, ich bin dir wieder keine Hilfe.«
    »Und ob ich mich um dich kümmere!«, hatte Mildred sie angefahren. »Ich hab dich hergebracht, und ich bringe dich nach Australien. Hab ich dir nicht versprochen, du bekommst von mir alles, was du brauchst?«
    Mit schmerzenden Händen zerrte Mildred das letzte Stück Wäsche aus dem Zuber. Ja, das hast du versprochen, Mildred Adams – wenn ich erst König bin, dilly dilly, wirst du meine Königin, aber hast du es gehalten? Das Licht wurde trübe, der Hof leerte sich. Es war Weihnachten, die Frauen hatten es eilig – die einen, weil sie mit ihren Kindern in die Kathedrale gehen wollten, und die anderen, weil irgendein Kerl ihnen zur Feier des Tages ein paar Drinks spendierte. Nur Daphne und Mildred gingen nirgendwohin.
    Daheim war Mildred mit ihrer Schwester zur Weihnacht in der Messe, aber heute war Daphne zu krank dazu. Daheim hatten sie die Weihnachtskiste von Daphnes Brotherrn gehabt, ein Glas Eingemachtes und Kuchen, sie hatten von den Pennys, um die Mildred ihre Kunden betrog, zwei Scheiben Schinken gekauft und einen halben Liter Gin, damit der Vater Ruhe gab. Oft hatten sie einen der Armenkörbe erhalten, die reiche Leute füllten, um sich großherzig und christlich zu fühlen – abgelegte Kleider, Äpfel und Nüsse, einmal ein Buch, über das Daphne sich zu Tränen freute. Trotz der Not hatten sie ihr Weihnachten gefeiert, und an die rußgeschwärzte Wand der Küche hatte Mildred Efeu gehängt. Heute aber hatten sie von allem nichts. Nicht einmal Betttücher. Nicht einmal Licht und Brot. Mildreds Magen schmerzte.
    Am Morgen hatte sie der Schwester gesagt, dies sei der Tag, an dem sich alles zum Besten wenden würde, sie gehe gleich los und komme beladen zurück wie der heilige Nikolaus. »Ein bisschen Schinken, was, mein Sperling? Und wenn sie am Hafen warmes Ale verkaufen, bring ich dir eine Kanne, das gibt dir Kraft. Lass mich nur Arbeit finden, dann hab ich im Nu das Geld beisammen, und wir fahren in die Wärme. Die ehrlichen Agenturen verlangen ja nicht viel von Damen, sondern bitten die Herren zur Kasse. Die schwimmen schließlich in Gold.«
    »Milly-Milly«, hatte Daphne gesagt, mit einer Bestimmtheit, die Mildred nicht an ihr kannte, »ich will keinen Fremden in Australien heiraten.«
    »Was soll das heißen, du willst nicht? Warum denn wohl nicht?«
    »Weil ich nur einen heiraten will, den ich von Herzen liebhab«, sagte Daphne. »Wenn mir das nicht gegeben ist, bleibe ich ledig, das macht mir nichts aus.«
    »Das macht dir nichts aus?«, hatte Mildred sie angeschrien. »Wer glaubst du denn, wer du bist, eine Figur aus deinen albernen Büchern, Olivia Twist mit einem Grafen zum Großvater? Ich werd dir sagen, wer du bist. Du bist Daphne Adams, die bald kein Dach mehr überm Kopf hat, wenn sie sich weiter ziert mit ihrem ich will. «
    Gleich darauf besann sie sich. Daphne hatte ja recht, sie besaß nicht die Kraft, einen Mann zu ertragen. Mildred würde einen finden müssen, der bereit war, auch der Schwester ein Heim zu bieten. Daphne gab keine Antwort, sondern erlitt einen Hustenanfall. Sie krümmte sich vornüber, hielt sich den Bauch und gab jenes hohle Rasseln von sich, das Mildred das Blut gefrieren ließ. Sie drückte sie an sich. »Ist doch gut, mein Sperling, überlass es mir. Hab ich nicht gesagt, wenn ich König bin, wirst du Königin?«
    Sie fror. Die Musik von der Kirche hörte sie bis hierher in den Hof. Weihnacht war, und sie hatte ihr Versprechen gebrochen. Ohne einen Penny war sie heimgekommen und hatte für Daphne nicht mehr tun können, als Bettzeug zu waschen, das auf Tage nicht trocknen würde. Und statt von irgendwoher Hilfe zu holen, dachte sie an den Fatzken mit dem Honighaar und an sein zartes Lachen.
    Sie war jetzt allein im Hof, und die Dunkelheit kam schnell. Mit wie erfrorenen Händen packte sie den Zuber und schüttete das Dreckwasser aus. Dann ging sie ins Haus, stapfte hinauf zum dritten Stock und schickte mit jeder Stufe ein Stoßgebet zur Decke: Lass es Daphne nicht schlechter gehen.
    Jemand sprang ihr in den Weg. Ein breiter Schatten löschte das Licht der Funzel. Victor. »Miss Mildred.«
    Sie war ihm zu Dankbarkeit verpflichtet, was den Umgang mit ihm nicht leichter machte. Zumindest stank er nicht wie die meisten Kerle. Im Gegenteil. Er hielt die scheußlichen Kleider eines Navvy sauber, und sein Haar war ordentlich gekämmt. Was wollte er von ihr? Die Miete? »Es ist

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