Die Mondrose
der Tochter meines Vaters kann kein Mensch erwarten, einen Mann zu lieben.«
Noch einmal küsste Lydia seinen Nacken, dann stand er auf und mixte Gin, Limonade, Gurken und Zitronen, weil es keine Erdbeeren mehr gab. Sie tranken auf die Liebe, auf Esthers Zukunft in Kanada und auf Noras Zukunft in London. »Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann alle hier wieder«, sagte Horatio. »Bei elektrischem Licht und Gesetzen, die etwas anderes als Liebe verbieten, und noch immer bei Gurken in Gin.«
»O ja!«, rief Esther und drückte ihn an sich. »Ihr seid die besten Freunde auf der Welt. Ich werde euch hundert Briefe schreiben, und ihr kommt mich besuchen, und ich …«
Lydia lachte. »Erst einmal wirst du vergessen, dass es uns gibt. Und das ist gut so.«
»Ist es nicht.« Sie lachten und steckten die Köpfe zusammen. Horatios ungehaltenes Haar kitzelte Lydia am Hals und machte ihr Lust.
»Jetzt geh und pack deine Koffer fertig«, sagte er zu Esther.
»Ich habe ja schon alles hundertmal ein- und wieder ausgepackt.«
»Dann tu es noch einmal. Wir sehen uns morgen früh.«
Sie standen in der Tür und winkten Esther nach. Horatio hatte den Arm um Lydias Hüften gelegt, und Lydia hatte den Arm um Horatios Taille gelegt, und wie sie so in der Tür ihres Hauses standen, sahen sie vielleicht aus wie eins jener Ehepaare, von denen Lydia nie ein Teil hatte werden wollen. Aber sie wollte es jetzt. Es war schon fast Herbst und wurde kühl, und Horatio schloss hinter ihnen den Riegel. »Wir sind allein«, sagte er und grinste hinreißend unverschämt.
»Nein«, sagte sie und hängte sich an seinen Hals. »Nein, mein Liebster, wir sind nie wieder allein, bei uns wohnt die halbe Welt, aber wir haben immerhin noch unser Bett für uns.«
»Stört es dich, dass die halbe Welt bei uns wohnt?«, fragte er und küsste sie.
»Nein«, sagte sie und küsste ihn wieder. »Mich stört gar nichts, erst recht nicht, dass du Geld, das wir nicht haben, an die halbe Welt verschenkst.«
Sie liefen die Treppe nach oben wie Kinder, ehe ihre Mutter sie erwischte. Anderntags bat er seinen Dekan um die Bürgschaft für einen Kredit, bekam anstandslos die Bewilligung und brachte Esther das Geld ins Spital. Lydia würde Esther vermissen, aber sie freute sich für die Freundin unbändig. Vor allem freute sie sich, dass es Mildred letzten Endes doch nicht gelungen war, ihrer Stieftochter die Zukunft zu zerstören. So wie es Hector nicht gelungen war, Horatio und Nora die Zukunft zu zerstören. Die neue Zeit gehörte ihnen. Sie konnten das, was die Alten angerichtet hatten, abschütteln, wie man nach dem Erwachen einen Traum abschüttelt, der Qual und Furcht bereitet hatte, aber keine Bedeutung mehr besaß.
Esther verabschiedete sich von Will Ackroyd, wie sie es versprochen hatte, dann traf sie Horatio, der ihr das Geld gab, in der Kantine. Ihr Gewissen plagte sie, er aber versicherte ihr noch einmal, dass er und Lydia das Geld mit Freuden wegschenkten. »Uns geht es gut, Esther. Dir soll es auch gutgehen.«
»Dass es dir gutgeht, sieht man«, sagte sie und musste lächeln.
In gespielter Panik griff er sich an die Taille. »Wie meinst du das? Findest du, ich setze Fett an?«
Sie grinsten sich an, umarmten sich und küssten einander auf die Wangen.
»Danke«, sagte Horatio.
»Habe nicht ich dir zu danken?«
»Nein, ich dir. Wenn ich dir Geld geben müsste, um Lydia zu entgelten, könnte ich ein Nabob sein und hätte doch nie genug.«
»Wenn du es so siehst – tust du mir dann noch eine Liebe? Geh zu Phoebes Hochzeit, auch wenn du Redknapp lieber durchprügeln möchtest, als ihm zu gratulieren. Hab ein Auge auf sie und schreib mir, wenn es ihr schlechtgeht. Sie tut mir so leid, Horatio.«
»Mir auch. Ich verspreche, ich habe ein Auge auf sie.«
Vermutlich war es nicht möglich nach allem, was geschehen war, Überschwang oder Leichtigkeit zu empfinden, aber als Esther nach Hause ging, begann sich die Freude auf das, was ihr bevorstand, sachte aufs Neue zu regen, und sie ließ es geschehen. Schließlich half sie Phoebe nicht, indem sie Trübsal blies, und was wäre das wundervolle Opfer, das Lydia und Horatio ihr brachten, dann wert? Zu ihrer Erleichterung fand sie das Mädchenzimmer leer vor. Die Schwestern mussten ausgegangen sein. Lediglich der Duft eines Rosenstraußes, den zweifellos wieder Andrew Ternan geschickt hatte, erfüllte den Raum.
Esther tat, was Horatio ihr geraten hatte, packte noch einmal Dinge aus dem Überseekoffer aus,
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