Die Mondrose
Nachts, wenn sie die Kämpfe des Tages ausgestanden hatten und ihre Körper nackt und befreit beieinanderlagen. Ihre Körper liebten einander innig, gierig und zärtlich, wie es ihren Köpfen und Herzen kaum mehr gelang. Der einzige Platz, an dem ich noch eins mit mir bin, ist zwischen Horatios feuchten Schenkeln, dachte sie manchmal, und wenn sie so dachte, wollte sie ihrem Mann die Kleider vom Leib reißen und ihm ins Ohr zischen, dass er wunderschöne Schultern hatte, statt auf ihn einzuschlagen, weil ihm ein falsches Wort entwichen war.
Aber wenn sie sich eine Nacht lang in Liebe und Seligkeit gewälzt hatte und am Morgen wieder all dem Leid – den von Männern blau geschlagenen Augen, den von Männern gesprochenen Gerichtsurteilen, den von Männern verscherbelten Mädchen – begegnete, schämte sie sich, und ihr Zorn erwachte erneut. An dem Abend, an dem er sie bat, mit ihm zu einer Feierstunde zu kommen, die sein Institut für den verfluchten Dreistromgenerator, auf den er so stolz war, gab, hatte sie ihn brüllend gefragt, ob er glaube, sie habe nichts Wichtigeres zu tun, als auf seiner Siegesfeier das anbetende Frauchen zu geben. »Für solche Spielereien haben nur Männer Zeit! Frauen kämpfen sich derweil aus dem beim Spielen hinterlassenen Scherbenhaufen.«
Er war ruhig geblieben. »Ich habe dich nie um etwas gebeten«, sagte er. »Aber ich bitte dich um diese Stunde. Der Generator für Dreiphasenstrom ist ein sinnvolles Gerät, wir geben es später dem Spital, wie Esther es vorgeschlagen hat, und im November soll ich an einer Zusammenkunft des Stadtrates teilnehmen, auf der über eine lokale Stromerzeugung für Portsmouth beraten wird. Es ist das erste Mal, dass ich mit etwas, das ich gemacht habe, zufrieden bin.«
»Was willst du von mir?«, hatte sie ihn verhöhnt. »Soll ich dir sagen, dass du ein braver Junge bist, und dir die Schulter tätscheln, weil dein Vater es nie getan hat?«
Wenn sie daran dachte, zog sich ihr Inneres zusammen. Wie konnte sie ihn so sehr verletzen, das Vertrauen, das er ihr erwiesen hatte, missbrauchen, und aus welchem Grund? Sie hatten es seither schwer, miteinander zu sprechen, aber gestern Abend war er noch einmal über den Schatten seines Stolzes gesprungen und hatte sie gebeten, zu der Feier zu kommen. Lydia hatte an diesem Tag die Aussagen einer Frau aufgenommen, die als Prostituierte aufgegriffen, entkleidet und zwangsuntersucht worden war. Sie hatte längst aufgehört zu unterrichten. Das Leid, das sie sah, ließ ihr weder Zeit noch Kraft dazu. Sie hätte es ihm sagen sollen: Ich kann nicht, Liebling. Mir tut mein Herz zu sehr weh, um zu feiern.
Stattdessen fragte sie ihn, während ihre Mutter eine Schüssel Erbsen auf den Esstisch stellte, ob er vor Stolz auf sein Spielzeug nicht ohne sie platzen könne und ob er demnächst ein elektrisches Gerät zum Beischlaf erfinden werde. »Dann brauchst du auch nicht mehr aufzupassen, dass du mir kein Kind machst, Horatio.«
Er war gegangen, um im Institut zu übernachten. Lydia hatte in einer Nacht und einem Tag mehr geweint als in ihrem ganzen Leben. Wie war sie dazu in der Lage? Weshalb schlug sie ihn dorthin, wo jeder faire Kämpfer seinen Gegner schonte, und zerschlug dabei ihr Glück?
»Es ist meine Schuld«, sagte ihre Mutter am Suppentopf und riss sie aus ihrer Trance. »Ich habe es dir von klein auf so beigebracht. Alle Männer bis auf den engelhaften Doktor, der mein Kind gerettet hat, sind schlecht und stürzen Frauen ins Verderben. Wenn du dein Leben halbwegs schadlos überstehen willst, dann halte dich von Männern fern.«
»Ja«, entfuhr es Lydia verwundert, »das hast du mir beigebracht. Warum, Mutter?«
»Weil der Mann, der mein Vater war, mich gezwungen hat, einen Mann, der ein Idiot war, zu heiraten. Weil der Idiot Krieg spielen wollte, halb entmannt zurückkam und sich von seinem letzten Geld in Selbstmitleid ertränkte. Weil ich allein zusehen musste, wie die zwei Buben, die er mir gemacht hat, verreckt sind. Und allein darum kämpfen, dass das Mädchen, das er mir gemacht hat, am Leben blieb.«
Lydia wollte zu ihr gehen und die Arme um sie legen, aber die Mutter hob die Hand. »Du fahr nach Southampton«, sagte sie. »Dein Horatio ist nicht schlecht. Er ist nicht so vollkommen, wie er es gern für dich wäre, aber er ist ein feiner Mensch, und er gäbe sein Herz und seine Augen für dich.«
»Ich glaube, das täte er wirklich«, erwiderte Lydia. »Kann ich dich allein lassen, Mutter? Ich ginge
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