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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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hat, wird nach all der Zerstörung unser Leben doch noch heil. Aber das Schicksal ließ sich von ihr keine Nase drehen, und der Sohn war eine halbtote, blau angelaufene Tochter, die auf Jahre hinaus nicht gedieh. Bis heute konnte Mildred nicht fassen, dass der Mann, der vor ihr stand, ein so gänzlich kraftloses, lebensunfähiges Geschöpf wie Chastity gezeugt hatte.
    Sie hatte das Kind nicht lieben können. Sie hatte sich geschworen, es als ihre Strafe anzunehmen und zu schützen, solange es lebte, doch zu mehr war sie nicht in der Lage gewesen. Die Gefühle, die sie jetzt übermannten, kamen ohne das leiseste Zeichen der Warnung und brachten die Grundfesten, die sie stützten, ins Wanken. Und ob ich sie liebe, und ob, und ob! Ehe sie mir vor die Hunde geht, gehe ich.
    »Ich habe dich gefragt, was du willst, Mildred.«
    Das Kind, das sie verloren hatte – Chastity –, besaß die Augen des Mannes. Goldbraun wie teurer Whisky, schutzlos und erfüllt von einer Zärtlichkeit, die Mildred wie sträflicher Leichtsinn vorkam. »Können wir in dein Büro gehen?«, fragte sie und wies vage in Richtung der verschlossenen Tür.
    »Nein«, erwiderte er hart. »Wir gehen nirgendwohin, es sei denn, du sagst mir, was du von mir willst.«
    »Es … es geht um mein Kind.«
    »Und darf ich fragen, weshalb mich das kratzen sollte?«
    Um auf die Frage Antwort zu geben, bin ich hier, dachte sie. Aber gib mir erst einen Drink, denn ich habe mich noch nie so schwach gefühlt.
    »Um dein Kind geht es auch.«
    Er straffte sich. »Ich habe keines. Nur Hedwig habe ich, und meine Hedwig hat mit dir nichts zu schaffen.«
    »Zum Teufel!«, schrie sie los. »Charles Ferdinand Ralph ist dein leiblicher Sohn, oder nicht?«
    »Wenn mein Sohn Geld von mir braucht, steht es ihm frei, sich an mich zu wenden. Ansonsten war es seine Entscheidung, mein Haus zu verlassen. Wir sind geschiedene Leute.«
    Es war jetzt so weit. Sie konnte es nicht mehr hinausschieben. Durch den dunklen Raum trat sie auf ihn zu, bis sie so dicht vor ihm stand, dass sie ihn hätte berühren können. Sie hob die Hand vor sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Lass das bleiben, Mildred. Was glaubst du eigentlich, wie alt wir sind?«
    Uralt. Und doch noch immer nicht alt genug für Frieden. »Du musst uns helfen, Victor. Ich bitte dich.«
    »Du hast mich oft gebeten. Weißt du, wie sehr ich mir seit zwanzig Jahren wünsche, dir eine Bitte abzuschlagen?«
    »Hasst du mich?«
    Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Mit aller Kraft, die meiner Seele bleibt.«
    »Ich kann es dir nicht verdenken.«
    »Wie schön für dich. Und du meinst, darauf lege ich Wert?«
    »Victor«, schrie sie und packte seine Rockaufschläge, »du musst mir helfen, und wenn du mich noch so sehr hasst, weil gar nicht ich in Gefahr bin. Es ist mein Kind, das zugrunde geht, wenn du mich abweist. Hilf ihr! Und dann tu mit mir, was du willst.« Er strich sie von sich ab wie ein Insekt. Ehe er etwas sagen konnte, sprach sie weiter. »Dein Sohn Charles lebt mit meiner Tochter in einer Dachkammer in Southampton. Du musst zu ihm gehen und ihm sagen, er soll von meiner Tochter lassen. Er darf sie um keinen Preis wiedersehen.«
    »Und warum muss ich das? Weil mein Sohn nicht gut genug für deine Tochter ist, so wie ich nicht gut genug war für dich?«
    Mildred stockte der Atem. Ja, so war es gewesen, so hatte sie es betrachtet und dabei alles nur Erdenkliche falsch gemacht. Sie starrte ihn an. Er war der einzige Mann, der so stark war wie sie, der sie hätte halten können und ihr aufhelfen, so oft sie gestürzt war. Er hatte sie Kleines genannt und ihr gesagt, sie solle sich nicht sorgen. Er war gut zu ihr gewesen, aber für sie nicht gut genug. Für den verbotenen Bruchteil eines Herzschlags wünschte sie sich, er würde die Arme öffnen, und sie dürfe sich hineinfallen lassen, er würde sie halten, und sie dürfe weinen.
    »Hat es dir die Sprache verschlagen, Mildred? Dann würde ich gern gehen. Ich lasse meine Hedwig drüben nicht gerne allein.«
    »Aber meine Tochter …«
    »Dass deine Tochter sich mit einem Mann eingelassen hat, der dir nicht passt, interessiert mich nicht. Warum sollte es das tun?«
    Mildred trat noch dichter vor ihn, so dicht, dass ihre Leiber sich berührten. Er wollte zurückweichen, doch ihr Blick hielt ihn fest. »Weil sie auch deine Tochter ist«, flüsterte sie. »Wenn wir nicht schnell sind und das Schlimmste verhindern, bekommt die Tochter, die ich dir geboren habe, von ihrem

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