Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
Vom Netzwerk:
gern nach der Feier mit Horatio noch irgendwohin.«
    Die Mutter lachte. »Zu der Feier kommst du ohnehin zu spät. Aber ja. Nimm deinen Horatio und geh mit ihm in ein Hotel, erlaubt euch einmal, nur an euch zu denken. Und, Lydia, vielleicht solltest du dich allmählich auch fragen, ob du ein Kind von ihm willst.«
    »Und wenn ich keines will?«
    »Dann willst du eben keines. Aber wenn du eines willst, wäre es ziemlich albern, es dir zu versagen, nur weil der arme Kerl dir versprochen hat, keines zu wollen.«
    Sie musste lachen, so verwüstet, wie sie sich fühlte. »Ich werde ihm sagen, was für einen erstaunlichen neuen Fürsprecher er hat.«
    »Ich bin dein Fürsprecher, mein Mädchen«, erwiderte die Mutter. »Und jetzt ab mit dir.«
    Sie lachten noch einmal zusammen, als die Türglocke ertönte. Nicht jetzt, durchfuhr es Lydia, und sie dachte an die unzähligen Abende, an denen ihr häusliches Leben hatte warten müssen, weil eine Frau in Not an ihrer Tür läutete. Heute Abend würde die Frau warten müssen, weil ihr häusliches Leben in Not war. Weil ihr Mann sie brauchte und sie ihn. Sie würde ihm sagen, dass sie ihn liebe und dass sie stolz auf ihn sei, auch wenn weder er noch sie vollkommen waren.
    Sie schob den Riegel zurück und öffnete die Tür. Der Frau, die draußen stand, fiel regennasses Haar ins Gesicht, und die Rinnsale, die aus den Strähnen trieften, mischten sich mit ihren Tränen. Das bisschen Schminke, das sie aufgetragen hatte, war jämmerlich verlaufen. »Kann ich hereinkommen, Lydia? Hast du Zeit? Es ist etwas Furchtbares geschehen.«
    Lydia trat zur Seite, nahm den Hut vom Kopf und ließ die Frau ins Haus.
    Sie konnte nicht anders. Die Frau war Esther.

    Es war das erste Mal. Nie zuvor hatte Horatio sie ohne Einladung besucht, und zudem war er nie so spät gekommen. Onkel Victor war bereits im Hausmantel, sie saßen im Salon und tranken Kakao, gewürzt mit Zimt und Melasse. Dann kam Horatio.
    Dass er ein schöner Mann war, wusste sie, sie hätte blind sein müssen, um es nicht zu wissen. Die Gefahr, die in dieser Schönheit lag, war jedoch neu und berauschend für sie. Er trug seinen Anzug ohne Schöße, der schicker und unverschämter war als das, was Männer sonst am Leib trugen, die Hemdbrust glatt wie eine Haut, ohne Rüschen und Falten, und so weiß, dass das Schwarz dazu brannte. Warum Schwarz als Farbe des Bösen galt, begriff Hedwig erst jetzt.
    Er konnte jede Braue einzeln heben, er konnte Hedwig ansehen und zugleich durch sie hindurch. Er konnte in ihrem Salon sitzen, ein Bein über das andere schlagen und wirken wie fleischgewordenes Laster. Er war auch nicht mehr höflich. Als Onkel Victor ihn fragte, ob er nicht denke, es sei für Besuch ein wenig spät, antwortete er: »Wenn ich das dächte, wäre ich kaum gekommen.« Hedwig sah ihm in die bösen, nachtdunklen Augen und musste sich die Hände aufs Herz pressen. Sie liebte ihn.
    Was sein Vater ihr erklärt hatte, hatte sie begriffen. Er war noch mehrmals gekommen, während sie auf Onkel Victor gewartet hatte. »Sie sind eine kluge Frau, nicht wahr, Miss March?«, hatte er gefragt. »Sie wissen, was ein Mann will, der zu einer Frau geht, und mein Sohn ist auch nur ein Mann. Ein Mann, der das, was er will, von seiner Frau nicht bekommt. Wenn Sie ihn wollen, meine Beste, dann müssen Sie die Frau sein, die es ihm gibt.«
    Schritt um Schritt hatte er es ihr dargelegt, und die Vorstellung, das Beschriebene mit Horatio zu tun, entzückte sie. Wie aber sollte sie es beginnen, solange neben ihr auf dem Sofa Onkel Victor saß und sie voll Argwohn bewachte? Das Gespräch plänkelte dahin. Horatio gab nur hin und wieder eine unverschämte Antwort, strich sich das Haar aus der Stirn, dass sich der messerspitze Ansatz zeigte, oder verlagerte sein Gewicht. Hedwig begann ihre Hände zu ringen und mit den Füßen zu scharren. Es sah aus, als würde sie in dieser Nacht keine Chance bekommen, und doch musste es diese Nacht sein. Sie würde es nicht ertragen, ihn gehen zu lassen, ohne ihre Hand dort hinzulegen, wo wie zufällig der Rock die Hüfte entblößte, sie über den flachen Bauch gleiten zu lassen und von dort hinunter. Wieder warf ihr Onkel Victor einen Blick zu. Verriet sie sich, sah man ihr an, welcher Sturm in ihr toste?
    Und dann kam ihr ein Wunder zu Hilfe. Der Nachtportier klopfte. Er war in sichtlicher Hast von der Pension herübergelaufen und verkündete, es sei jemand da, der Onkel Victor sprechen müsse.
    »Ich bin für

Weitere Kostenlose Bücher