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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Und dann umfing sie jemand von hinten, zog sie zu sich und küsste ihr den Scheitel.
    »Ist alles in Ordnung, Liebes? Sei mir nicht allzu böse, man wollte mich einfach nicht fortlassen.«
    Hyperion. Alles war gut. Daphne ließ sich gegen ihn sinken.
    »Nur keine Sorge, teurer Schwager. Wir haben uns fürsorglich um deine Braut gekümmert.«
    »Haben sie das?« Hyperion hob ihr Gesicht nah an seines.
    Daphne nickte und lächelte.
    »Irgendwer hat vorgeschlagen, hinüber zum Clarence Pier zu gehen und das Konzert zu hören. Würde dir das gefallen?«
    Noch einmal nickte sie. »Ich würde gern ein Stück laufen.«
    »Und ich würde gern für den Rest dieses Tages keinen Augenblick mehr von dir getrennt sein.«
    Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn an sich. Der kurze Schrecken war vorüber. Es war alles gut.

    Was sie gedacht hatte, fragte sie sich. Dass er den Trubel, das wie ein Mühlbach plätschernde Geschnatter unterbrechen, auf einen Stuhl steigen und quer durch den Saal verkünden würde: Verehrte Damen und Herren, es liegt ein Irrtum vor, nicht Daphne ist es, die ich heiraten werde, sondern ihre Schwester Mildred?
    Und dann, herrschte sie sich an. Wie soll deine Schwester damit weiterleben, deine blutarme Schwester, die du über alles liebst?
    Aber Daphne konnte doch nichts an Hyperion liegen! Wenn es um Männer ging, war Daphne ein Kind. Hyperion würde sie nie so ansehen, wie er Mildred im Garten des Spitals angesehen hatte, und wenn doch, würde er Daphne in Angst und Schrecken versetzen. Gewiss fühlte Hyperion sich Daphne gegenüber verpflichtet, sein Herz war weicher als Butter, und Daphne, so krank und hilflos, wie sie war, musste sein Mitleid erregen. Daphne hingegen ging es um das Leben, das er ihr bot, die Sicherheit, die sie auch bekommen würde, wenn Mildred statt ihrer als Hausherrin nach Mount Othrys zog.
    So hatte Mildred versucht sich zu beschwichtigen und sich dabei verborgen gehalten, damit weder Daphne noch Hyperion sie zu Gesicht bekamen. Das Fest schritt voran, und beinahe gelang es ihr, ihr Gesäusel zu glauben: Hyperion und Daphne behandelten einander nicht wie Brautleute, sondern unterhielten sich mit Fremden, ohne nach dem anderen den Kopf zu drehen.
    Es liegt ein Missverständnis vor. Irgendein grandioses Missverständnis, das sich früher oder später in Luft auflöst.
    Und dann schlug die Hexe mit dem dicken Hintern vor, hinunter zum Clarence Pier zu laufen. Während alles zum Aufbruch rüstete, kämpfte sich Hyperion durch die Menge zu Daphne vor. Mit einem Schlag zerplatzte Mildreds Traum. Nein, nicht mit einem Schlag. Mit einer Umarmung, einem Blick und einem Lächeln. Sie lehnte sich gegen die Wand. Auf einmal war sie sicher, um jeden Preis ein Glas Brandy zu brauchen, aber niemand kam und bot ihr eines an. Die Bediensteten waren beschäftigt, Eiskübel und Picknickkörbe zu packen, um sie der Gesellschaft hinterdrein zu tragen. Die Schar der Gäste wurde zum Fluss, der ins Freie strömte und Mildred mit sich spülte. Irgendwer packte sie am Arm. »Kommen Sie, Täubchen, so jung wie heute werden wir im Leben nicht mehr.«
    Mildred taumelte mit. Immer wieder riss der Menschenstrom auf und gab die Sicht auf zwei Rücken frei, auf zwei Hände, die einander hielten, Gesichter, die sich im Schritt einander zuwandten. Hyperion und Daphne, Hyperion und Daphne.
    Der Tag war diesig, die Hitze lag wie eine Glocke über der Stadt. Das verschwimmende Licht machte die Farben der Kleider und Hüte weich. War es wirklich das Licht? Du darfst nicht weinen, herrschte Mildred sich an. Wenn du weinst, bringe ich dich um. Über die Wiese trug leichter Wind die Blasmusik, mit der die Kapelle der Royal Marines den Clarence Pier willkommen hieß. Das Stück erkannte Mildred sofort. Es war eine übermütige Hornpipe, die Portsmouth hieß und wie die kleine Stadt vor Lebensfreude barst. Die heiteren Töne mischten sich mit dem Gelächter der Gäste. Paare hielten einander untergehakt. Hyperion und Daphne gingen versunken wie durch menschenleeres Land.
    Bin ich die Einzige, deren Welt zerbricht? Was war eigentlich schlimmer, Hyperion zu verlieren, den einzigen Mann, den sie lieben konnte, oder Daphne zu verlieren, die kleine Schwester, die jedes Opfer wert gewesen war? Sie glaubte ihren mageren Körper noch in ihren Armen zu spüren, das verweinte Gesicht an ihrer Brust.
    »Lavendel ist blau, dilly dilly,
    Lavendel ist grün.
    Wenn ich erst König bin, dilly dilly,
    Wirst du meine Königin.«
    »Miss

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