Die Mondrose
er.
Diesmal war es an der Schwester, den Kopf zu schütteln. »Sie trug ein Handtuch um den Leib mit der Inschrift ›Milton’s Court, Mietpension‹. Und sie hat dem Kind einen Namen gegeben.«
»Danke«, murmelte Hyperion.
Die Schwester ging, um Wasser zu holen. Durch die Tülle des Krugs versuchte Hyperion es der Fiebernden einzuflößen, doch es gelang nur, ihr die gesprungenen Lippen zu benetzen. Zwischen vergeblichen Versuchen zu schlucken hörte Hyperion sie flüstern. Er brachte sein Ohr so nah wie möglich an ihren Mund. »Hat-wick«, glaubte er zu erkennen. Das war der unschöne Name, den sie dem Kind gegeben hatte. Außerdem immer wieder die zwei Silben: »Han-nes, Han-nes.«
»Ist Hannes Ihr Mann?«, fragte er. »Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«
Die Augen der Kranken weiteten sich. Ihr Blick verriet, dass sie kein Wort verstand.
»Ich kümmere mich darum«, versprach er ihr dennoch. »Und wenn ich meinen Bruder fragen muss, ich werde dafür sorgen, dass Ihr Kind in die Obhut Ihres Mannes kommt.«
Sie röchelte und stöhnte. »Han-nes.«
Er blieb die Nacht über bei ihr, wechselte die Kompresse, schlief aber irgendwann im Sitzen ein. Als ihn am Morgen die Bierglocke weckte, hatte jemand eine Decke über ihn gebreitet. Noch blind und wirr vom Schlaf tastete er nach der Hand der Frau. In der Nacht war sie glühend gewesen. Jetzt war sie wie Eis.
Sehr langsam ging er nach Hause, mit schleppenden Schritten wie ein alter Mann. Nicht einmal Daphne wünschte er zu sehen. Einzig Vernon hätte er sprechen wollen, doch der war auch am Morgen nicht erschienen. Wir müssen etwas tun. Die Frauen sterben uns nicht am Blutverlust, sondern am Schmutz. Irgendein Ungar sollte darüber geschrieben haben, über Kindbettfieber, das von dreckigen Händen übertragen wurde. Er musste sich dessen Schriften besorgen. Vor allem musste er den Vater des Kindes finden, ehe es in einem Waisenhaus verschwand.
Benommen vor Traurigkeit sah er auf seine Füße, die durch schmutzigen Schnee schleiften, da hörte er seinen Namen. Gleich darauf schlangen sich Arme um ihn.
»Dem Himmel sei Dank. Du bist da, du bist endlich da.«
Sie roch nach Rosen und Wärme. Ihre Hände strichen über sein Gesicht.
»Haben sie dich wieder über Nacht behalten? Mein armer Liebling, ich weiß, du tust alles für deine Patienten, aber du zerstörst dich doch selbst.«
Nichts war so gut wie von ihr gehalten und gestreichelt zu werden.
»O Hyperion, ich war so dumm gestern.«
Nicht du. Ich war dumm und bin es weiter. Ich bin deiner nicht würdig, aber wenn ich dich verliere, sterbe ich.
»Ich hätte dir sagen sollen, was ich zu sagen hatte, ich habe mich so albern benommen. In den Salon wollte ich mich setzen und es feierlich verkünden, und was kam dabei heraus? Du musstest gehen, ohne es zu hören. Aber so dumm bin ich nie wieder, heute sage ich es dir, und wenn wir mitten auf der Straße stehen.«
»Was denn, Liebstes?«
»Ich bekomme ein Kind, Hyperion. Wenn es wieder Sommer ist, bekommen wir ein Kind.«
Kapitel 13
Sommer
W arum war sie zurückgegangen, damals, an jenem grauenvollen Morgen? Victor hatte gesagt, sie könne im Hotel bleiben, solange sie wolle, er werde für Zimmer und Verpflegung zahlen. »Ich will für dich sorgen, Mildred. Auf mich kannst du zählen, wann immer du mich brauchst.«
Sie ertrug es kaum, ihn um sich zu haben, weil er sie in ihrer größten Schwäche gesehen hatte. Andererseits war er der einzige Mensch, dem sie nichts vorzumachen brauchte, und er hatte versprochen, sie nicht zu bedrängen. Alles schien erträglicher, als dem glücklichen Brautpaar und der Hexe Nell wieder unter die Augen zu treten. Warum war sie dennoch zurückgegangen, warum stand sie jetzt in der nahezu leeren Vorratskammer von Mount Othrys, hielt einen Bogen mit Zahlen in der Hand und rechnete, als ginge all dies sie etwas an?
Es ging sie etwas an. Sie war zurückgegangen, weil sie geschworen hatte, Daphne zu schützen, und weil etwas ihr sagte, dass Hyperion nicht der Mann war, dem sie diese Aufgabe überlassen durfte. Sie wollte Hyperion nicht mehr lieben. Sie wollte Daphne nicht mehr lieben. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, sich nach Australien einzuschiffen, um aus dem Leben der beiden zu verschwinden. Drei Kräfte aber zogen sie unaufhaltsam zurück – Hyperion, Daphne und Mount Othrys.
Es tat weh. Hyperion und Daphne heirateten im Oktober, das ganze Haus war im Gold und Rot des Herbstes geschmückt, und in
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