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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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den Schalen dufteten die Früchte eines langen Sommers. Gleich nach Weihnachten folgte ein noch größerer Schrecken – Daphne war schwanger. War es das, was sie sich nicht hatte vorstellen können, dass ihre Schwester und der Mann, den sie liebte, taten, was nötig war, um ein Kind zu zeugen? Daphne ist zu schwach dazu, Daphne ist, wenn es um Männer geht, doch selbst ein Kind!
    Natürlich wurde Daphne, kaum dass sie das Kind erwartete, krank. Ihre Blutarmut war ärger denn je, sie brauchte Schonung, und Hyperion war nicht Manns genug, damit fertig zu werden. So blieb es an Mildred hängen, Daphne zu pflegen, dafür zu sorgen, dass sie gutes Essen erhielt und dass regelmäßig ein Arzt nach ihr sah. Nicht Hyperion, der sich zu sehr aufregte, sondern Dr. Vernon, der die Leitung des Spitals abgetreten und jetzt viel Zeit hatte. Dass weder Vernon noch seine Frau sie mochten, war Mildred bewusst. Sie pfiff darauf. Wichtig war, dass sie Daphne mochten und dass der Arzt für seine Hausbesuche keine Rechnung ausstellte.
    Rechnungen blieben an allen Ecken und Enden unbezahlt, Lieferungen trafen nicht ein, und das Wirtschaftsgeld war knapp. Mildred war sicher, dass ihr Schwager dem Haushalt zu viel Geld abzog, um es in sein Spital zu stecken. Sie wollte ihm sagen, dass damit ein Ende sein musste, aber er wich ihr aus. Mildred musste sich selbst mit den Händlern anlegen und dabei noch das Problem vor Daphne verbergen. Während sie auf diese Weise das Steuer übernahm, begann sie unmerklich sich an ihr Leben auf Mount Othrys zu gewöhnen. Im Alltag war sie zu beschäftigt, um sich in Gefühlen zu verlieren. Sie hatte gelernt, dass das Leben sie nicht fragte, was sie ertragen konnte. Es packte ihr die Last einfach auf.
    Sie kam zurecht. Nur dass sie sich von Hyperion hinhalten ließ, verriet, wie es in ihrem Inneren aussah. Statt ihn zu stellen, hatte sie abgewartet, bis sie nicht einmal mehr Rahm für Daphnes Frühstück hatte. Beim Gedanken, mit ihm zu sprechen, pochte die Wunde unter ihren Rippen. Um aber Daphne bei Kräften zu halten, brauchte sie Rahm und Geflügel, Markknochen, fangfrischen Fisch – die Liste ließ sich endlos fortsetzen. Oben hörte sie die Glocke schellen, die einen Besucher am Hintereingang ankündigte. Hastig stellte sie den leeren Krug zurück und lief nach oben.
    Priscilla und Sarah hatten sich damit abgefunden, dass Mildred Lieferanten selbst die Tür öffnete. Vor der Tür stand ein Mann, der ein Pferd im Arm trug. Tatsächlich glaubte Mildred einen Moment lang, der Lieferant hielte ihr ein lebendiges, in Seidenpapier gewickeltes Fohlen entgegen.
    Entgeistert trat sie zurück. Der Mann stellte die Last vor ihr ab. Jetzt erkannte sie, dass es sich keineswegs um ein Lebewesen, sondern um ein täuschend echt gearbeitetes Schaukelpferd handelte. Es war ein Prachtstück, ein Falbe mit goldblonder Mähne und ledernem Zaum. »Wer hat das bestellt?«, fragte sie. Das Pferd kostete zweifellos ein Vermögen, und wenn der Mann den Betrag von ihr forderte, würde sie ihm keinen Farthing geben können.
    »Dr. Weaver«, antwortete der Lieferant. Er wartete kurz, dann wandte er sich ab. »Früher hat’s dafür Trinkgeld gegeben, dass man sich abschleppt«, knurrte er im Gehen.
    Mildred zog das Pferd ins Haus, schloss die Tür und lehnte sich aufatmend gegen die Wand. Alles war halb so schlimm. Hyperion hatte das Spielzeug bezahlt, also hatte er Geld genug und musste lediglich darauf hingewiesen werden, dass der Haushalt mehr Mittel brauchte. Heute Abend kommt er mir nicht davon, und wenn ich noch einmal in das verfluchte Spital dazu muss.
    Eine Bewegung ließ sie herumfahren. Sie erwartete Sarah oder Priscilla, womöglich gar Nell, die stets aus dem Nichts auftauchte, doch auf der breiten Treppe stand Daphne. Sie trug ein grünes Kleid aus Musselin, das sie totenblass machte. Von dem Kind, dessen Geburt in kaum sechs Wochen bevorstand, war ihrem Leib nichts anzusehen. Mildred packte die Angst. Wie sollte ein derart zartes Geschöpf die Strapaze überleben? Im Schlamm von Whitechapel lernten schon Kinder, dass Geburt und Tod so dicht beieinanderlagen wie Huren und Freier.
    »Habe ich nicht gesagt, du sollst im Bett bleiben?«, herrschte sie die Schwester an. »Wo ist diese Pute Priscilla, sie hatte Anweisung, auf dich zu achten.«
    »Bitte lass deine Wut nicht an Priscilla aus.« Daphne lächelte ihr gütiges Lächeln, das Mildred gelegentlich zur Weißglut trieb. »Ich habe ihr gesagt, sie soll gehen. Sie

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