Die Mondrose
ein kaum irdisches Lächeln auf den Lippen. »Gott sei es gedankt, Sie haben einen gesunden Sohn.«
Hyperion befreite sich und sprang auf. »Meine Frau …«
Priscillas Lächeln wurde noch breiter. »Sie will Sie gern sehen.«
Das Gebrüll verstummte. Hyperion taumelte hinter Priscilla her, und Mildred folgte Hyperion. Aus dem Schlafzimmer trat Sarah mit einer Wasserschüssel. Auch sie hatte jenes unwirkliche Lächeln im Gesicht. »Ich gratuliere, Herr Doktor. Ein prächtiger Bursche.«
Neben der Tür stand Nell Weaver. Sie packte Mildred am Arm. »Dies gehört Mann und Frau allein, begreifen Sie nicht einmal das? Für die ewige Dritte ist dort kein Raum.«
Was wusste die Hexe? Was verstand sie von ihr und Daphne, die wie ein einziges Wesen verbunden waren? Mildred stieß sie aus dem Weg und trat ein. Der Arzt war im Begriff, seine Tasche zu packen. In dem überdachten Bett, das blütenweiß bezogen war, saß Daphne. Als Kind war sie Mildred entgegengesprungen, aber jetzt hob sie nicht einmal den Kopf. Hyperion lag vor dem Bett auf den Knien. Daphne hatte einen Arm um ihn gelegt und hielt im anderen Arm ein Bündel. Hyperions Gesicht konnte Mildred nicht sehen, aber auf dem von Daphne war das unirdische Lächeln.
»Danke«, murmelte Hyperion, die Stimme schwer von Tränen. »Wie kann man nur glauben, man habe je zuvor Glück erlebt?« Daphne beugte sich vor und zog ihn zu sich. Sie betrugen sich, als wären sie völlig allein, nicht nur im Raum, sondern auf der Welt.
»Begreifen Sie es jetzt?«, hörte Mildred Nell in ihrem Rücken keifen. »So sehr Sie sich winden, für Sie ist hier kein Platz mehr frei.«
An einem leuchtenden Septembersonntag wurde der Knabe in der Sankt-Thomas-Kathedrale auf die Namen Louis Fergus Weaver getauft. Hyperion gab ein rauschendes Fest, ohne dass Mildred wusste, woher er das Geld dafür nahm. Jeder bemerkte, dass der kleine Louis ein besonders entzückendes und dazu kerngesundes Kind war. Wie hatte dieses Bündel Kraft in der zarten Daphne stecken können, ohne sie zu zerreißen?
»Ich habe nicht gewusst, was Leben ausmacht«, sagte Hyperion in seiner Tischrede. »Sagen Sie mir, meine Freunde, weiß das jemals ein Mann, bevor er Vater ist?«
Gelächter klang auf, und Hyperion, ohne sich um jeglichen Anstand zu scheren, nahm seiner Frau das Kind ab und küsste es.
Kapitel 14
Southsea bei Portsmouth, Mai 1863
W unschlos glücklich.
Leichten Herzens benutzte man die Phrase, ohne sich je zu fragen, was darinnen steckte. Erst an dem Morgen, als ihn Priscilla in sein Schlafzimmer holte und er in den Armen seiner Frau seinen Sohn liegen sah, lernte Hyperion, dass diese zwei Worte wahrhaftig ein Wunder beschrieben. Einmal in meinem Leben habe ich mich wunschlos glücklich gefühlt.
Er war vor ihr niedergefallen und hatte das Gesicht im Duft des Kindes vergraben, seines Kindes, das von diesem Tag an sein Haus mit Lachen füllen würde. Das verschüttete Glück würde zu ihm zurückkehren. Es würde wieder ein kleiner Junge im Schoß seiner Mutter sitzen, die ihm Lieder vorsang und ihm zuflüsterte, dass sie ihn weiter liebte, als das Licht der Sonne reichte. Und ich habe daran teil, dachte er. Mein Vater und ich, wir konnten einander nicht haben, weil ich so anders war, als mein Vater mich wollte. Aber du und ich haben einander, weil ich gar nichts von dir will, als dass du bist, wer du bist.
An seiner Wange spürte er die flaumige Haut des Kindes. Seine Augen waren blau, als stünde vom Geheimnis des Himmels noch ein Rest darin. Wie Daphnes Augen. Wie Amelias Augen. Das Leben würde nie mehr schwarz und ohne Hoffnung sein. Hyperion war wunschlos glücklich, weil das Glück so allumfassend war, dass für Wünsche kein Raum blieb. Er wünschte sich weder die Taschen voll Geld noch einen Wechsel, der die Schuld bei seinem Bruder tilgte. Er wünschte sich auch nicht, dass die Medizin einen Durchbruch erzielte und Fleckfieber und Cholera besiegte, ja, er wünschte sich nicht einmal etwas für sein Kind, denn das Kind war vollkommen, es ließ keinen Wunsch offen.
Als er es ansah, öffnete es den winzigen Mund zu einem herzhaften, zahnlosen Gähnen. Hyperion streckte die Hand aus, um ihm die Wange zu streicheln, Daphne tat dasselbe, und ihre Hände berührten sich. So begann ihr Leben mit Louis.
Das Glück hielt an. Es bäumte sich mit jedem Lächeln, jedem Laut des Kindes und schrie: Ich bin da! Allmählich aber schlichen sich ins Glück wieder Wünsche, erst unmerklich, doch schon
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