Die Mondrose
Wallach. Die Mähren verkaufen wir.«
»Aber der Wallach ist kein Damenpferd.«
»Das ist mir recht. Ich bin keine, die Damenpferde braucht.«
Sie hörte, dass er hinter ihr stehen blieb. »Mildred …«
»Was ist noch?«
»Du sagst Daphne wirklich kein Wort?«
»Nicht eines.« Sie stieg zum Sattel des Deiches weiter und sah über den Solent, der im Abendlicht wie ein Spiegel lag.
»Danke«, sagte Hyperion.
»Ich tue es nicht für dich.«
»Eben dafür danke ich dir«, entgegnete er, ging an ihr vorüber und begann den Abstieg.
Eine Woche später führte Mildred Gaia und die zwei anderen Reitpferde zum Schlachthof in Fratton und erzielte für das Fleisch einen ordentlichen Preis. Im selben Ort, wo kein Mensch sie kannte, verkaufte sie eins der Wagenpferde und teilte Max mit, sie wolle sich künftig selbst um die verbleibenden Tiere kümmern. Als Pfleger werde er nicht länger benötigt, somit habe sie nur noch an fünf Tagen der Woche Arbeit für ihn. Auf sein Entsetzen war sie vorbereitet, sie wusste, er hatte sieben Kinder, aber darauf durfte sie keine Rücksicht nehmen. Als Nächstes entließ sie Will, der wegen der Abtritte kam. Seine Aufgaben teilte sie Max und sich selbst zu. Solange es niemand merkte, würde die Drecksarbeit sie nicht umbringen. Sie hatte in Whitechapel Schlimmeres getan.
Dass sie an allen Enden sparte, würde nicht genügen. Sie brauchte Einkommen, musste etwas zu Geld machen, das im Überfluss vorhanden war. Von den Kostbarkeiten, von denen Mount Othrys überquoll, hätte sie vieles verkaufen können, doch dagegen sträubte sie sich. Mount Othrys war das Haus ihrer Träume, es war in ihre Hände gelegt worden, und sie würde es mit allem, was darin war, bewahren. Sie hatte andere Pläne, auch wenn diese Zeit und Geld erforderten. Heimlich betrieb sie ihre Vorbereitung und hatte dabei ständig Worte im Ohr, die Victor März ihr gesagt hatte. Victor März würde ihr helfen, wenn es so weit war. Hätte sie es verlangt, so hätte er ihr geholfen, einen Mord zu begehen und die Leiche zu verbergen.
Ende August, als die späten Rosen im Garten zu knospen begannen, die Tage kürzer, aber noch einmal goldener wurden und das Meer vor den Stürmen des Herbstes seine Kraft sammelte, gebar Daphne ihr Kind. Mildred konnte sich nicht erinnern, je so viel Angst durchgestanden zu haben wie während des Tages und der Nacht, als Daphne in den Wehen lag. Dr. Vernon war krank, sie hatten einen Arzt aus Portsmouth holen müssen, der sogleich eine besorgte Miene aufsetzte. Nell zeterte, der Arzt sei nutzlos, sie hätte wie in alten Zeiten die Hebamme gerufen, aber Mildred hörte sie kaum. Es gab nur noch eines – die Angst um Daphnes Leben.
Die Nacht über wachte sie mit Hyperion. In den grauenhaften Stunden war er nicht mehr der Mann, den sie über alles begehrte, sondern der einzige Mensch, der ihre Ängste teilte. Es ist gut, wie es ist, versprach sie Gott, auf den sie sich in ihrer Not besann. Es ist gut, dass Daphne ihn hat, und wenn Du sie mir lässt, will ich nicht mehr hadern. Sie klammerten sich aneinander. »Sie stirbt doch nicht, Mildred, meine Daphne stirbt nicht?« Er bestürmte sie, als läge es bei ihr, darüber zu entscheiden. Er hatte versucht sich zu Daphne ins Zimmer zu drängen. »Ich bin ihr Mann, ich muss ihr doch helfen.«
Mildred aber verbot es, und diesmal standen ihr Nell und Priscilla zur Seite. Bei einer Geburt hatten Männer nichts verloren.
»Ich bin Arzt«, protestierte Hyperion, ehe er aufgab und sich von ihnen aus der Tür schieben ließ. Mildred ging mit ihm in die Bibliothek, seinen liebsten Ort im Haus, um zu warten. Es war eine Folter. Hyperion betete mit ihr um Daphnes Leben, er klagte sich an und raufte sich das Haar.
»Wenn sie verschont bleibt, musst du dafür sorgen, dass sie nie wieder ein Kind bekommt. Sie ist blutarm. Ich habe dir immer gesagt, sie ist für solche Strapazen nicht gemacht.«
Er nickte, wie um einen Schwur zu besiegeln. »Nie wieder, Mildred. Wenn sie nur lebt, wenn sie mich nur nicht verlässt.«
Um das Kind fürchtete keiner von ihnen. Stillschweigend kamen sie überein, dass das Kind geopfert werden konnte, solange Daphne lebte. Essen mochten sie nicht. Sie tranken Brandy, und irgendwann lagen sie einander in den Armen und weinten.
Vor Morgengrauen kam Priscilla und trat ohne anzuklopfen ein. Im selben Augenblick drang Gebrüll aus dem oberen Stockwerk. »Meinen Glückwunsch, Herr Doktor.« Das sauertöpfische Hausmädchen hatte
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