Die Mondrose
auch wenn er sich vor dessen Hufen gefürchtet hatte. Louis würde sich nicht fürchten, er war ein kleiner Dragoner im Herzen – nur wovon sollte sein Vater ein Pony bezahlen? Kurz darauf besuchte er Cynthia Lewis, die er seit Jahr und Tag wegen ihrer eingebildeten Krankheit behandelte. Er kam sich vor wie ein Scharlatan. Dennoch überwand er die Scham und fragte, ob sie ihn wohl ihren Freundinnen empfehlen könne.
Die Großtante des Port Admirals bedachte ihn mit einem Blick, unter dem sich etwas in ihm krümmte. »Ach nein, Herr Doktor, ich denke nicht, dass ich das kann. Ich sehe ja über manches hinweg, weil ich der Ansicht bin, wir sind Amelia Ward etwas schuldig, doch man rät mir nicht selten, den Arzt zu wechseln. Schließlich fragt man sich doch, ob diese Geschwulstkrankheiten nicht aus den Spitälern eingeschleppt werden wie all die anderen scheußlichen Seuchen.«
Es hatte keinen Sinn, dagegen anzureden, ihr den Unterschied zwischen infektiösen und nicht infektiösen Krankheiten zu erklären, an den der Großteil der Menschen ohnehin nicht glaubte. Krankheiten kamen aus der Luft, und wer wie er in fauliger Luft seine Arbeit tat, der schleppte sie mit sich herum. Deshalb also bekam er keine Anfragen mehr. Er blickte an sich hinunter. Wahrlich, wie der Armenarzt sah er aus in seinem staubigen Anzug und dem zerknitterten Hemd. An diesem Tag ging er mit schwerem Herzen nach Hause. Noch gelang es ihm jedoch, alles zu verdrängen, sobald er Daphne und Louis sah. Sein Sohn kroch zu einem Sessel, krallte sich an die Lehne und zog sich hoch. Zum ersten Mal überschaute er seine Welt aus dem Stand. Der Schrei, den er ausstieß, geriet triumphal. Hyperion und Daphne tauschten ein Lächeln, dann lief Hyperion hin und hob das Kind an sein Herz.
Es wurde schlimmer. An einem Maimorgen traf er in der Stadt seinen Bruder. Wie üblich wollte er über die Straße flüchten, doch ein Trauergespann, das gemächlich hätte dahinzockeln sollen, donnerte in solchem Höllentrab vorbei, als käme der Tote irgendwohin zu spät. Der Wagen kappte Hyperions Fluchtweg. »Angenehmen Morgen«, grüßte Hector und zog seinen Hut.
Hyperion verschränkte die Hände im Rücken und blieb stumm.
»Kein Gruß? Nun, sei’s drum. Manieren bringt man Knaben eben mit dem Stock bei, nicht mit Zucker und Gesäusel.« Der Bruder verzog den Mund. »Und da wir von Manieren sprechen – meinst du nicht, es gehöre sich, allmählich an Begleichung zu denken?« Er hob eine Hand und vollführte immer noch lächelnd die Geste des Geldzählens.
Hyperion zerbiss sich die Lippe.
»Noch keine Antwort?« Hector klopfte ihm auf die Schulter. »Nun, zerbrich dir nicht den Kopf. Es ist ja nicht so, dass ich am Hungertuch nage. Ein Weilchen kann ich dir das kleine Vermögen schon stunden. Vergiss nur nicht, an einem Tag meiner Wahl stehe ich vor deiner Tür und fordere mein Geld, und dann tust du gut daran, es bereitzuhalten, wenn du dein Elternhaus behalten willst.«
»Es ist auch dein …«, begann Hyperion, aber Hector winkte ab.
»Streich mir keinen Sirup um den Bart. Wir wissen beide, dass es das Haus deiner Eltern war, nicht meiner. Dein Vater hat es für deine Mutter und ihren Kronprinzen gekauft. Mein Vater war er zu der Zeit schon lange nicht mehr.«
»Das ist nicht …«, fiel Hyperion ein, brach aber gleich darauf ab.
Hectors Lächeln verzog sich zur Seite. »Was ich an dir mag, ist, dass du ein so schlechter Heuchler bist. Du bringst es nicht über dich, mir zu sagen, das sei alles nicht wahr. Nichts für ungut. Empfiehl mich der Dame, die dich geheiratet hat. Wenn sie dir das nächste Mal sagt, du solltest deinen Bruder gelegentlich zum Tee bitten, hör auf sie.«
Damit ließ er ihn stehen. Vor Scham konnte Hyperion sich lange nicht rühren, ehe er sich zusammenriss und den Weg nach Hause antrat. An der Straßenecke sah er Mount Othrys, das sich so friedvoll zwischen die Ulmen schmiegte, als wäre es dort gewachsen. Es zu verlieren war undenkbar, es war seine Muschelschale, sein Schutz. Dann sah er seine Großmutter auf sich zueilen. Beinahe rannte sie, eine Frau von über achtzig Jahren.
»Bist du kein Herr mehr?«, rief sie. »Gehst du neuerdings zu Fuß? Das passt zusammen, Hyperion, wahrlich, das passt.«
»Was passt?« Er blieb stehen. Noch immer kam es ihm vor, als würde er vor ihr einschrumpfen.
»Dass du wie ein Tagedieb durch die Stadt scharwenzelst, dass du ein Marktweib ins Haus nimmst und deine Großmutter aus dem Heim, das
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