Die Mondrose
bald unleugbar.
Dass eine Frau von Daphnes Stand ihr Kind nährte, war nicht üblich. Die Königin hielt es für widerwärtig, und zudem verschlang es Kräfte, aber Daphne tat es dennoch, und ihr Kind gedieh. Statt eine Kinderpflegerin einzustellen, übernahm sie den größten Teil der Pflege selbst. Täglich ging sie mit Louis spazieren, sang für ihn und bewachte seinen Schlaf. Hyperion musste froh darüber sein, denn er hätte sich weder Amme noch Kinderfrau leisten können.
Wollte er Daphne alles schenken, was eine Frau begehrte, so wollte er es bei Louis umso mehr. Der Knabe war das schönste Kind der Gegend, er sollte schöne Kleider tragen und jedes Spielzeug besitzen, das seinen Geisteskräften förderlich war. Zu Weihnachten ertappte sich Hyperion dabei, dass er Geld ausgab, das er nicht besaß. Er selbst ging in geflickten Hemden, doch der Gedanke, dass es Daphne und Louis an etwas fehlte, schnitt ihm ins Herz. Zudem packte Daphne unentwegt Päckchen, die sie der Armenstiftung der Kirche schenkte. Amelia hatte dasselbe getan. Seine Frau sollte es tun dürfen, ohne sich zu sorgen.
Eine Zeitlang war es leidlich gegangen. Es gelang ihm, drei neue Patienten zu werben, und als Vernon, mit dessen Gesundheit es stetig bergab ging, das Amt des Spitalleiters niederlegte, übernahm Hyperion die Nachfolge und erhielt zumindest ein geringes Gehalt. Vernon hatte ihn noch einmal gewarnt. Er selbst habe sich ein solches Leben nur leisten können, weil er ererbtes Kapital ertragreich angelegt hatte. »Sie hingegen haben das, was Sie hatten, verbraucht. Sie mögen der edelste Mann auf dieser Erde sein, Weaver, wenn aber Frau und Kind dafür bluten, wird der Grat zwischen Edelmut und Selbstsucht schmal. Ich weiß, ich rede gegen Wände, dennoch wünschte ich, Sie würden sich besinnen.«
»Ich habe mich besonnen«, erwiderte Hyperion. »Mein Sohn ist mein Leben. Dass es ihm an etwas mangelt, ertrüge ich nicht.«
»Das glauben Sie.« Der alte Mann suchte seinen Blick. »Aber jedes Mal, wenn Sie Ihr schönes Heim und Ihre reizende Familie genießen, überfällt Sie eine Welle der Schuld, und dann wollen Sie auf der Stelle ins Spital eilen und mindestens drei, denen das Schicksal weniger hold war, vor dem Tod bewahren.«
Ertappt fiel Hyperion in Schweigen. Vernon hatte recht. Sooft er in Wärme und Glück gehüllt bei Daphne und Louis saß, tauchten die Gesichter derer auf, die in der Kälte hockten. Frauen aus dem Arbeitshaus, die elend dahinsiechten. Das kleine Mädchen, dem er den Abakus geschenkt hatte. War es an der nächsten Seuche verreckt, in einem Armengrab verscharrt? Am schlimmsten war es, wenn das Gesicht der Frau auftauchte, die nach der Entfernung der Gebärmutter gestorben war. Er hatte ihr versprochen, ihren Mann zu suchen, doch vor Glück hatte er nicht mehr daran gedacht.
Der kleine Louis platzte vor Entdeckungslust. Wie ein Welpe sprang er auf allen vieren durch die Räume. Wollte Priscilla ihn holen, damit die Herrschaften ungestört beisammensitzen konnten, wehrten Hyperion und Daphne ab. Sie genossen jede Minute mit dem Kind. Es schien nie müde zu werden, zog alles herunter und brach in lachende Seligkeit aus, sobald etwas in die Brüche ging. Die Eltern sahen einander an und stimmten in sein Lachen ein. Ihr Kind war so anders als sie, es eroberte das Leben im Sturm. Hyperion betrachtete das Gesicht seines Sohnes, und im nächsten Moment verwandelten sich die schönen Züge des Jungen in die des Waisenmädchens, das er im Stich gelassen hatte. Hatwick. Der hässliche Name war alles, was ihr von ihrer Mutter bleiben würde.
Nein, er konnte nicht aufhören, das bisschen Kraft, das er besaß, dem Spital zu geben. »Wir sind der Welt etwas schuldig«, hatte Amelia ihn gelehrt, wenn sie Pakete für die Armen packte. »Weil wir einander haben, mein Sonnenschein.«
Es musste beides gehen, die Sorge für den Haushalt und die Arbeit im Spital, und eine Zeitlang glaubte er, es ginge. Mehr Geld kam ins Haus, und Mildred sparte mit eisernem Zepter. Oft war er versucht, ihr Einhalt zu gebieten, vor allem wenn sie den Dienstboten, die seit seines Vaters Zeit im Haus waren, den Lohn kürzte, aber er hatte gelobt, ihr freie Hand zu lassen, und sie machte ihre Sache gut. Erst als der Frühling begann, wurde deutlich, dass es nicht genügte.
Er kaufte für Louis einen offenen Wagen und stellte fest, dass kein Geld mehr für die Rechnung des Metzgers übrig war. Er selbst hatte in Louis’ Alter ein Pony gehabt,
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