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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Deutsche hatte eine Schwester. In dem wilden Land, aus dem er stammte, gab es eine Verwandte, die ihm über Gebühr am Herzen lag. So etwas von Menschen zu wissen war Gold wert, denn durch solches Wissen ließen sie sich lenken.
    Vermutlich hatte März vor, seine Schwester zu sich zu holen, sobald er die Mittel besaß, aber der Wirbel um die Schwester verstummte, sobald Mildred Adams die Bühne betrat. März liebte sie. Der verschlossene Bursche gab das Geld hin, das für die Schwester gedacht war, und setzte die Stellung aufs Spiel, für die er Tag und Nacht schuftete. Hector hatte von solchen Leidenschaften, die wie Krankheiten waren, gelesen, er hatte geahnt, wie sie in Menschen wüteten, jetzt aber erlebte er sie, keine zehn Schritte entfernt, und blieb davon ausgeschlossen.
    Für Mildred Adams hätte der Deutsche getötet. Hector spürte den Schmerz in allen Gliedern pochen und wünschte, ein Mensch hätte für Hector Weaver getötet.
    »Sag nichts, Mildred«, hörte er den Deutschen sprechen. »Musst dich nicht sorgen.« Dann scharrten Schritte über den Boden, die Türangeln knarrten, und gleich darauf waren beide fort.

Kapitel 15
    September
    D ie Saison ging zu Ende.
    Die Rosenstöcke im Garten hingen schwer von der Pracht der Herbstrosen. Mildred hatte dort, wo es am feurigsten blühte, Tische und Stühle aufgestellt, damit ihre Gäste in der Süße des sterbenden Sommers ihren Tee einnehmen konnten. Sie hatte Kinder aus dem Ort die Äpfel und Zwetschgen pflücken und Sarah daraus Eingemachtes kochen lassen, das sie mit Zimt und Anis auf zartem Porzellan servierte. »Hier am Meer duftet alles stärker«, hatte sie zu den Gästen gesagt, als wäre sie hier geboren. »Nehmen Sie die Düfte Ihrer Ferien mit, und lassen Sie sich an grauen Wintertagen davon trösten.«
    Sie wusste nicht, woher ihr solches Gerede kam, aber die Gäste mochten es. Sie mochten alles auf Mount Othrys und fragten Mildred, ob sie für die nächste Saison im Voraus buchen könnten, und wie schade es doch sei, dass Mildred so wenige Zimmer vermiete, denn Mount Othrys sei genau das, was man den Nachbarn oder dem Geschäftsfreund gern empfohlen hätte. Ein Reeder aus Liverpool, der mit seiner Frau bei ihr logierte, hätte im kommenden Jahr gern das ganze Haus gemietet. »Es gefällt uns bei Ihnen, Miss Adams«, hatte die junge Frau gesagt. »Es hat das gewisse Etwas, auf das man in unseren Kreisen Wert legt, aber leider ist man so schrecklich beengt. Wenn Sie sich entscheiden könnten, uns mehr Raum zur Verfügung zu stellen, schreiben Sie bitte meinem Mann.«
    Wider Erwarten hatte Mildred Freude an der Zimmervermietung und sah der Abreise der letzten Gäste beklommen entgegen. Sie hatte diese Sache aus der Not heraus begonnen, sie wusste, dass Maria Lewis und Bernice Weaver sich darüber die Mäuler zerrissen. Sie hatte den Gedanken an Fremde, einen Teil von Mount Othrys Fremden zu überlassen, gehasst, aber so war es nicht gewesen. Die Zimmervermietung war ihr Eigen, es war der Teil von Mount Othrys, der wahrhaftig ihr gehörte. »Mount Othrys Hotel, M. Adams« stand auf den rahmweißen Karten, die sie hatte drucken lassen. Kein weiterer Name, nur der ihre.
    Sie hatte Freude daran, vor der Abreise Geld einzustreichen, es zu zählen und die Summe in ein Buch einzutragen, das zwei Spalten hatte, eine für Ausgaben und eine für Einnahmen. Auf ihr Drängen überließ ihr Hyperion auch seine Einkünfte zur Verwaltung. Sie trug jede Summe gewissenhaft ein und sparte, wo sie konnte. Irgendwann wurden die Zahlen in der Einnahmenspalte geringfügig größer als die in der anderen. Von dem Geld, das sie verwandte, um Rechnungen zu begleichen oder das Nötigste nachzukaufen, blieb auf einmal etwas übrig.
    Es ist mein, dachte sie. Ich habe sonst nichts, aber das Geld steht mir zu, ich gehe hin und werfe es zum Fenster hinaus. Statt im billigsten Stoff herumzulaufen, lasse ich mir das teuerste Kleid der Stadt schneidern. Sie hatte für den Morgen ihre Arbeit erledigt, sie konnte sich ein paar freie Stunden gönnen. Ihr Pferd satteln und in die Stadt reiten, alle brüskieren, die mit dem Finger auf sie zeigten. Während sie sich vor dem Spiegel mühte, ihr schreckliches Haar zu bändigen, versuchte sie an das Kleid zu denken, das sie sich kaufen wollte, aber in ihrem Kopf entstand kein Bild. Früher hatte sie sich alles, was sie sich wünschte, vor ihr geistiges Auge zaubern können, das Haus in Australien, den Salon, das Klavier, aber jetzt schien

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