Die Mondrose
beide, so dass Hector in der Finsternis des Flurs seinen Herzschlag und seinen Atem hörte. Dann vernahm er, wie März sich mit mehrmaligem Räuspern die Kehle reinigte. »Mildred«, sagte er, »ich weiß, du magst mein Haus und mein Hotel nicht, und ich kann dir nicht das Leben bieten, das einer Frau wie dir gebührt. Aber wenn du jemanden brauchst, der für dich eintritt und deinem Kind ein Vater ist, dann will ich, dass du weißt: Es wäre mir eine Ehre, dieser Mann zu sein, ich würde für dich sorgen und es dir nie an etwas fehlen lassen.«
Noch einmal lachte Mildred auf, diesmal verloren, nicht bitter. »Soll das die Wahl sein, die ich habe?«, murmelte sie. »Mit einem Navvy von der Hand in den Mund zu hausen, und das nach all den Kämpfen, die ich ausgestanden habe? Ich wollte, dass meine Tochter ein Klavier bekommt. Ich wollte, dass mein Sohn so umsorgt und behütet aufwächst wie der kleine Louis. Ich wollte, dass für meine Kinder selbstverständlich ist, was ich nie kennenlernen durfte – Sicherheit, Liebe und Glück.«
Wieder breitete sich Schweigen aus, bis März’ Stimme fremd und belegt in die Stille schnitt. »Ich kann ein Klavier kaufen«, sagte er. Als wäre es damit getan. Aber dass es das nicht war, wusste vermutlich sogar der deutsche Einfaltspinsel.
»Tu, was du willst«, erwiderte Mildred tonlos. »Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als dein Angebot anzunehmen. Versteh mich nicht falsch. Ginge es um mich, dann würde ich lieber der Schande entgegensehen, als mit dir in dieser scheußlichen Höhle zu hausen. Aber es geht um meine Schwester. Daphne darf von alldem nie erfahren, oder es brächte sie um. Deshalb muss ich mich opfern. Das habe ich mein Leben lang getan.«
Arme Mildred, dachte Hector geradezu zärtlich. Ist es nicht unendlich schade, dass dein Opfer umsonst sein wird?
»Hast du mich gehört, Victor? Daphne darf nie davon erfahren.«
»Ja«, sagte März, »ich habe dich gehört.«
Aber Daphne wird davon erfahren. Was glaubt ihr zwei Hübschen eigentlich? Dass ihr die einzigen Spieler auf diesem Brett seid, dass ich euch das Feld überlasse?
»Hyperion fährt morgen auf einen Kongress«, sagte Mildred. »Er wird bis kurz vor Weihnachten fort sein. Ich werde die Zeit nutzen, um meine Sachen zu packen, und du nutzt sie besser, um aus diesem Stall eine halbwegs menschliche Behausung zu machen.«
»Alles, was du willst, Mildred. Du musst mir nur sagen, was du gern hättest, und ich lasse es liefern. Ich habe ja mein Sparkonto, ich habe es gerade erst aufgefüllt.«
»Spar dir die Prahlerei. Schaff einfach das Nötigste an, so dass ich hier hausen kann, ohne mich allzu sehr zu schämen. Ich lasse mein Lebenswerk zurück, ist dir das klar? Das Hotel Mount Othrys, das ist mein Lebenswerk.«
Schüchtern lachte März auf. »Aber du bist noch so jung, Mildred! Du könntest ein anderes Lebenswerk beginnen. Wir könnten aus dem hier etwas machen, wenn du willst. Ich bin Mr Weavers Teilhaber, nicht sein Angestellter, ich darf genauso bestimmen wie er. Und mein Ziel ist es, ihm seine Hälfte abzukaufen. Dann könnten wir auch ein vornehmes Hotel daraus machen, wenn es das ist, was dir gefällt.«
»Ein vornehmes Hotel!«, barst es aus Mildred heraus. »Auf der Gewürzinsel! Wovon träumst du eigentlich, wenn du schläfst? Sei so gut und verschone mich mit deinen Phantastereien. Ich verliere alles, was ich liebe, ich muss ertragen, dass sich Weiber wie Maria Lewis und Bernice Weaver über mich die Mäuler zerreißen, also brauche ich nicht noch deinen Hohn obendrein.«
»Ich würde dich nie verhöhnen, Mildred. Und wenn dir an dem Hotel etwas liegt, solltest du, denke ich, einen Anteil bekommen.«
»Soso, das denkst du. Und wen kratzt, was du denkst? Wer klagt mir den Anteil ein? Ich bin eine Frau, falls du das vergessen haben solltest.«
»Ich habe gerade einen Artikel von einem Mann namens John Stuart Mills gelesen«, erwiderte März. »Darin wird sogar das Wahlrecht für Frauen gefordert, kannst du dir das vorstellen? Frauen sind nicht rechtlos – und als dein Mann werde ich für deine Rechte eintreten.«
In dem kurzen Schweigen, das verstrich, mochte in Mildred ein Funke Hoffnung aufglimmen und gleich wieder verlöschen. »Vergiss es«, sagte sie müde. »Kümmere dich lieber darum, dass unser Aufgebot bestellt wird, denn ich möchte nicht erst heiraten, wenn ich aus allen Nähten platze. Und keine Einladungen, kein Drumherum. Ein Schaf, das zur Schlachtbank geht, gibt
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