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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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können, wo doch du immer die Schwache warst, die, die mit einem Bein im Grab stand und auf die ich Rücksicht nehmen musste?« Sie schrie jetzt. Sah in die blauen Augen der Schwester und schrie, und keine Macht der Erde hätte sie aufhalten können. »Hyperion war das Einzige, was ich je für mich wollte, er hat mir zu Weihnachten ein Geschenk geschickt, und dann hast du ihn mir weggenommen! Hast verlangt, dass ich auch diesmal verzichte, und weil ich es dieses eine Mal nicht getan habe, machst du eine Teufelin aus mir!«
    Daphne, die noch immer die Hände vor den Mund hielt, wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht. »Und er, Mildred?«, stammelte sie kaum verständlich. »Hyperion? Er liebt dich auch?«
    »Ja, er liebt mich«, erwiderte Mildred. »Wenn du es genau wissen willst, wir lieben uns so sehr, dass wir die Hände nicht voneinander lassen können, sobald wir in einem Raum alleine sind. Aber was nützt uns das? Du warst eben schneller und hast deine Schäfchen ins Trockene gebracht. Du bist die Zerbrechliche, der man nicht weh tun darf, und Mildred und Hyperion müssen tapfer sein und verzichten.«
    »Nein, Mildred«, flüsterte Daphne. »Nein, das müsst ihr nicht. Du hast recht. Ich war eine untragbare Last für dich, aber das werde ich nicht länger sein. Ich werde gehen und euch endlich euer Leben führen lassen.«
    Eine Hoffnung wallte in Mildred auf, die ihr für Augenblicke die Kehle zuschnürte. In dieser winzigen Zeitspanne begriff sie, dass sie das Angebot – wäre es gültig gewesen – angenommen hätte, dass sie bereit gewesen wäre, Daphne zu verlieren, um Hyperion zu gewinnen. Hyperion und Louis. Daphne konnte ihre Tochter mitnehmen, und finanziell würde für beide gesorgt werden. Das Hotel hatte in diesem Sommer erstaunliche Gewinne eingefahren, es ließe sich spielend vergrößern, und nach dem Kongress konnte Hyperion mehr Patienten aufnehmen. Hyperion war zu gut für die Welt, er brauchte eine feste, zuweilen harte Hand, die ihn lenkte. Mildred war es, die er brauchte. Vereint würden sie ein Gespann bilden, das die Welt in Schranken wies.
    Gleich darauf lösten sich die Schleier, die ihr den Blick vernebelt hatten, sie sah wieder klar, und die Hoffnung zerstob. Es würde niemals möglich sein, sie würde niemals etwas für sich haben dürfen, das Daphne begehrte. Daphnes Zustand würde sich verschlimmern, Hyperion würde an der Schuld zerbrechen und reumütig zu ihr zurückkehren, und sie selbst stünde allein da, hätte beide verloren und ihre trübe Heiratsaussicht obendrein. Das Kind, das ihr im Leib saß, erschien ihr unwirklich, und dass sie es jemals lieben könnte, wie sie Louis liebte, lag außerhalb aller Möglichkeiten, aber das Kind würde da sein und sich nicht wegreden lassen. Sie konnte sich auf kein Risiko einlassen, so übermächtig der Wunsch danach auch war.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie zu Daphne. Wie oft hatte sie der Schwester diese Worte gesagt, auch wenn sie selbst vor Sorgen weder ein noch aus wusste? Wenn ich erst König bin, dilly dilly, wirst du meine Königin – dass ich selbst eine Frau bin und Königin hätte werden können, habe ich dir nie gesagt. »Mach dir keine Sorgen«, wiederholte sie. »Ich habe einen Heiratsantrag erhalten und angenommen, ich werde dir nicht länger zur Last fallen. Eigentlich hatte ich hierbleiben wollen, bis die Bruchbude, in der ich hausen werde, einigermaßen hergerichtet ist, aber ich denke, ich werde schon heute packen und dein Haus verlassen.«
    Dein Haus, das im Grunde meines ist. Hast du einen Handschlag getan, um es zu erhalten? Hast du je eine schlaflose Nacht verbracht aus Angst, es zu verlieren?
    »Von mir aus brauchst du nicht zu gehen«, erwiderte Daphne kühl, als spräche sie zu einer Fremden. »Das Haus ist ja groß genug.« Wer der Mann war, den ihre Schwester ihr zuliebe heiraten würde, fragte sie nicht, sondern wandte sich ab, als wäre die Angelegenheit für sie erledigt.
    War sie das? Hatte sie, Mildred, ihre Schuldigkeit getan und konnte gehen? Sie warf einen Blick auf den Rücken ihrer Schwester, die grüne Seide um die schmalen, nach vorn gekrümmten Schultern. Was wollte Daphne ihr sagen? Dass ihr gemeinsames Leben beendet war, dass alles, was Mildred für sie getan hatte, nicht mehr zählte und sie einander nicht wiedersehen würden? Sie konnte hier nicht stehen bleiben, als würde sie um ein Wort, einen Blick betteln – ihr Stolz zwang sie, den Raum zu verlassen. Wie benommen, auf fühllosen

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