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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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dazu kein Fest.«
    Arme Mildred. Glaubte sie, es sei Balsam auf ihre Wunden, wenn sie Victor März weh tat, wie Hyperion ihr weh getan hatte? Hector verstand sie. Sooft er seinem tumben Sohn eine Tracht Prügel verabreichen ließ, sooft er den Deutschen demütigte, sooft er grundlos Männer aus dem Gaswerk entließ, linderte der Schmerz, den er zufügte, für kurze Zeit den Schmerz, den er ertrug. Aber der Schmerz kehrte immer zurück. Er würde sich erst beruhigen, wenn seine Rache nicht Horatio, März oder die Arbeiter im Gaswerk traf, sondern den Schuldigen, Hyperion selbst. Mildred erging es ebenso. In gewissem Sinn bin ich dein Werkzeug, dachte er. Ich fechte deinen Kampf aus wie meinen, ich trete für deine Rechte ein, wie der arme März es nie könnte.
    Im Salon schickte sich Mildred an zu gehen. Widerstrebend zwang sich Hector, ebenfalls seinen Aufbruch vorzubereiten. Am liebsten wäre er stehen geblieben und hätte sie in seinen Armen aufgefangen. Wir sitzen in einem Boot, meine Süße. Wir haben denselben Feind, und gemeinsam dürften wir unschlagbar sein. Natürlich würde er nichts dergleichen tun. Sie hätte es fertiggebracht und ihn geohrfeigt wie den Trottel März, und allein bei dem Gedanken hielt Hector sich für fähig, einen Mord zu begehen. Also würde er, sobald der heilige Hyperion bei seinem Kongress weilte, seine Schwägerin aufsuchen und sie – ganz der besorgte Schwager – von dem Gehörten in Kenntnis setzen. Dass er damit nicht nur seinen Bruder vernichtete, sondern zugleich Daphne, die er aufrichtig schätzte, und Mildred, der er die Bewunderung nicht versagen konnte, ließ sich nicht ändern. Womöglich würde der so reichlich zugefügte Schmerz seinen eigenen heilen oder zumindest auf Jahre betäuben.
    »Soll ich in dein Haus kommen, Mildred?«, fragte März. »Soll ich Mr Weaver um die Heiratserlaubnis bitten?«
    »Mr Weaver ist nicht mein Vormund«, erwiderte sie patzig. »Und du kommst nirgendwohin. Mit Hyperion und Daphne spreche ich selbst.«
    »Wann sehe ich dich wieder?«
    »Das wirst du dann schon erleben.«
    »Mildred?«
    »Was ist noch?«
    »Darf ich dir sagen, dass ich trotz allem glücklich bin?«
    »Wenn es dir gefällt, dein Glück auf meinem Elend zu bauen, dann sag, was du willst«, versetzte sie und ging.

    Nach einem Tag voller Arbeit war Mildred in die Stadt geritten, um Samt in der Farbe heller Rosen zu kaufen. Sie hatte Bänder für alle Vorhänge in den Hotelzimmern daraus nähen wollen. Genau wie im vergangenen Winter barst sie auch in diesem vor Plänen, um die Räume zu verschönern, den Ausbau voranzutreiben und ihren Gästen mehr Luxus zu bieten. Erst als sie vor dem Tor von Mount Othrys vom Pferd stieg, fiel ihr wieder ein, dass sie im nächsten Frühjahr nicht hier sein würde, um Gäste zu empfangen, dass vielleicht niemand Gäste empfangen würde und dass das Hotel, das unter ihren Händen stetig gediehen und gewachsen war, verschwinden würde, ohne dass je jemand erfuhr, was daraus hätte werden können. Sie hätte den rosenfarbenen Samt in den Rinnstein werfen und in die schlammigen Schneereste treten mögen.
    Wenn sie das Haus betrat, tollten ihr gewöhnlich Louis und Pebbles, der wollige Retrieverwelpe, den sie ihm geschenkt hatte, entgegen und überschütteten sie mit feuchter Zärtlichkeit. Heute aber blieb alles still. Nicht einmal Sarah und Priscilla verursachten bei der Hausarbeit den üblichen Lärm. Die kalte Angst, die sie sonst in solchen Augenblicken befiel, der Gedanke, Daphne oder dem kleinen Jungen könnte etwas zugestoßen sein, blieb aus. Was sollte noch geschehen, was hätte das, was ihr bevorstand, schlimmer machen können?
    Sie ging ein paar Schritte in Richtung Salon, noch immer auf die vertrauten Geräusche lauschend, als eine Stimme sie herumfahren ließ. »Ich habe alle weggeschickt. Ich wollte allein mit dir sprechen.«
    Mildred drehte sich um und sah Daphne auf dem marmornen Treppenabsatz stehen. Sie war vollständig angekleidet, trug das schwere grüne Kleid, das sie älter machte, und hatte sich das Haar zu streng aus dem Gesicht frisiert. Als hätte sie sich bewusst ihrer Lieblichkeit berauben wollen, und auch in den kantig abgezehrten Zügen war nichts Liebliches mehr. Ihre Haut schien noch bleicher geworden – gespenstisch bleich.
    »Warum bist du nicht im Bett?«, fragte Mildred mechanisch.
    »Wäre ich im Bett besser aufgehoben? Wäre ich im Bett niemandem im Weg?« Es war Daphnes Stimme, die sprach, aber der Ton, der

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