Die Moralisten
soeben die Reden meiner Gegner gehört und frage mich allmählich, ob ich wohl für mich selbst stimmen werde.«
Lautes Gelächter ertönte. Die Schüler beugten sich vor und schienen voller Spannung auf meine nächsten Bemerkungen zu
warten.
»Ich weiß nicht, was ich euch versprechen soll, wenn ich zum Klassenältesten ernannt werde«, sagte ich. »Meine Gegner haben euch bereits alles versprochen, was ich mir nur denken kann.«
Sie lachten und applaudierten, und ich hob die Hände, um sie zu beruhigen.
»Glaubt nicht, daß ich das für falsch halte - sie haben durchaus recht. Ich stimme in jeder Beziehung mit ihnen überein. Ich würde euch auch gern weniger Hausarbeit, mehr Lesezeiten und kürzere Unterrichtsstunden versprechen, aber das kann ich leider nicht. Ich fürchte, das Unterrichtsministerium würde Einspruch erheben.«
Gelächter und Beifall begrüßten diese Bemerkung. Ich warf rasch einen verstohlenen Blick auf Marty und Jerry, die in der ersten Reihe saßen. Sie lächelten mir zu. Jerry hob die Hand und schloß die Finger zu einem Kreis, ein Zeichen, daß alles in bester Ordnung war. Ich fuhr fort:
»Ich möchte nun nicht mehr allzuviel von eurer Zeit in Anspruch nehmen, da ich weiß, wie ängstlich ihr alle darauf bedacht seid, wieder in eure Klassen zu kommen. (Gelächter.) Aber ich möchte euch versichern - sowohl im Namen meiner Gegner als auch in meinem eigenen -, daß derjenige, den ihr wählt, ganz gleich, wer das sein wird, alles für euch tun wird, was in seiner Kraft steht. Und mehr kann einer beim besten Willen nicht tun.«
Ich kehrte an meinen Platz zurück und setzte mich hin. Die Schüler sprangen johlend und applaudierend auf.
Janet flüsterte mir ins Ohr: »Steh auf und mach 'ne Verbeugung.«
»Nur, wenn du mitkommst«, sagte ich. Sie nickte. Ich nahm sie bei der Hand, und zusammen gingen wir zur Mitte des Podiums. Wir lächelten der Menge zu. Janet sah in ihrem rosa
Kleid sehr hübsch aus. Ich hob die Hand, und es wurde still.
»Auch wenn ihr mir eure Stimme nicht gebt«, sagte ich, »so denkt jedenfalls daran, Janet zur Stellvertreterin des Klassenältesten zu wählen. Sie wird die hübscheste und gescheiteste Vizepräsidentin sein, die die George-Washington-Oberschule je gehabt hat.«
Sie lachten und applaudierten, bis der Gong ertönte und die Versammlung vorüber war.
Sie machten mich mit überwältigender Mehrheit zum Klassenältesten.
Janet und ich wurden gute Freunde, und in den Augen der anderen Schüler >gingen wir miteinander<. Ich mochte sie gern, aber irgendwie war es ein ganz anderes Verhältnis als mit Julie, und das würde sich wohl auch nicht ändern. Aber wir gingen weiterhin zusammen aus, gaben uns weiterhin unseren Gutenachtkuß nach unseren sonnabendlichen Verabredungen und setzten den langweiligen Prozeß des Heranwachsens fort.
Die Schule ging weiter. Bald war es Ostern, und dann kamen die Sommerferien. Ich bestand die Prüfung in allen meinen Fächern und fuhr mit meinen Verwandten nach Rockaway.
Es war der schönste Sommer, den ich je erlebt hatte. Es gab eine ganze Masse Jungen am Strand, und wir hatten eine prima Zeit miteinander. Ich schwamm sehr viel, faulenzte den ganzen Tag am Strand herum und wurde ganz dunkelbraun. Ich glaube nicht, daß ich mich irgendwie von den anderen Jungen am Strand unterschied. Wir beobachteten die Mädchen in ihren Badeanzügen, unterhielten uns über ihre körperlichen Reize und überlegten, ob sie es taten oder nicht. Ich entdeckte eine, die es tat, und glaubte, etwas Besonderes zu haben, bis ich herauskriegte, daß auch fast alle anderen Jungen sich das eingebildet hatten. Da ließ ich sie abblitzen.
Ich nahm fast sieben Pfund zu im Laufe dieses Sommers, der so schnell vorbeiging. Bald war es Zeit, den Bungalow zu schließen und wieder in die Stadt und zur Schule zurückzukehren.
Ich war jetzt im zweiten Schuljahr, und es gelang mir, in die reguläre Schwimm- und Basketballmannschaft zu kommen. Ehe das Jahr zu Ende war, trug ich das große schwarzorangenfarbige >W< auf meinem Sweater. Ich war nun so etwas wie ein Star in der Schule und hatte immer eine ganze
Gefolgschaft von Jungen.
Alle miteinander waren wir in dem Sommer ein Stück erwachsener geworden; Jerry, Marty und ich - und auch Janet. Aber ich wußte nicht, wie sehr, bis ich sie eines Tages nach dem Fußballspiel am Thanksgiving Day nach Hause brachte. Sie wollte zu ihrer Großmutter zum Festessen. Ihre Eltern waren schon vorgegangen, und sie
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