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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Faltenrock?«
    »Ich verbitte mir diesen Ton, Ileana. Es fällt mir schon schwer genug, mich an den Gedanken zu gewöhnen, daß ich eine erwachsene Tochter haben soll. Wahrhaftig, so viel älter als du sehe ich ja gar nicht aus. Man könnte uns für Schwestern halten.«
    Ileana musterte ihre Mutter. So unrecht hatte sie nicht. Es war ihr gelungen, sich ein jugendliches Aussehen zu bewahren. Jedenfalls sah man ihr ihre sechsunddreißig Jahre nicht an. »Ja, Mutter«, sagte sie leise.
    »Und sag nicht immer >Mutter< zu mir«, sagte sie heftig. »Das tut man heutzutage sowieso nicht mehr. Wenn du mich unbedingt anreden mußt, dann nenn mich beim Vornamen.
    Oder noch besser, sag >Liebste< zu mir, wie dein Vater. Alle Leute nennen mich jetzt so.«
    »Ja, Mut - Liebste«, sagte Ileana.
    Ihre Mutter lächelte. »Na, das ging ja schon, nicht? Komm, ich zeige dir dein Zimmer.«
    Ileana folgte ihrer Mutter über den langen Korridor zu einem kleinen Zimmer hinter der Küche. Man brauchte ihr nicht zu sagen, daß es die Mädchenkammer gewesen war. Die spartanische Einrichtung sprach für sich.
    »Es wird ganz nett werden, wenn wir es ein bißchen herrichten«, sagte die Liebste. Sie sah Ileana an. Ileana verzog keine Miene. »Was ist denn?« sagte sie heftig. »Gefällt es dir nicht?«
    »Es ist ziemlich klein«, sagte Ileana. Ihr ehemaliges Zimmer im Internat kam ihr jetzt größer vor als dies.
    »Nun, du wirst dich schon damit begnügen müssen«, sagte die Liebste ärgerlich. »Dein Vater gehört nämlich nicht gerade zu den reichsten Männern der Welt. Und es ist schwierig genug, mit dem Geld auszukommen, das wir haben.«
    Sie wollte gerade gehen, da klingelte es an der Wohnungstür. Sie wandte sich um; die Verblüffung in ihrem Gesicht wirkte beinahe echt. »Ach, das hätte ich fast vergessen. Ich habe einen Freund von uns, einen Amerikaner, zum Cocktail eingeladen. Bitte, sei so lieb und mach ihm die Tür auf. Sag ihm, ich bin gleich fertig.«
    Gefolgt von Ileana, eilte sie durch den langen Korridor. An der Tür zu ihrem Zimmer blieb sie stehen und sah Ileana an. »Und, Liebling, bitte tu mir noch einen Gefallen. Wenn du dich vorstellst, sag ihm nicht, daß du meine Tochter bist. Ich habe heute keine Lust zu langweiligen Erklärungen.«
    Bevor Ileana etwas sagen konnte, hatte die Liebste ihre Tür zugemacht. Ileana ging langsam durchs Wohnzimmer nach unten. Sie brauchte keinen Souffleur mehr für solche Situationen. Das Internat in der Schweiz war sehr gründlich.
    Als ihr Vater in der nächsten Woche zurückkam, war Ileana erschrocken, wie sehr er sich verändert hatte. Er, der einmal groß und stattlich gewesen war, ging jetzt gebeugt und steif, denn seine fast gelähmten Beine bereiteten ihm heftige Schmerzen.
    Auf seinen Krücken konnte er sich nur langsam vorwärtsbewegen, und er ließ sich sofort in seinen Rollstuhl fallen. Er sah sie an und lächelte, als sie sich neben ihn kniete. Er streckte den Arm aus und zog sie an sich.
    »Ich bin froh, daß du endlich zu Hause bist, Ileana«, sagte er.
    Trotz seines Gebrechens mußte der Baron viel auf Reisen gehen. Die Angelegenheit mit seinem Landbesitz war noch immer nicht geregelt. Er bemühte sich ständig um Verhandlungen mit dem gegenwärtigen Regime über eine Entschädigung für seine Verluste. Eine Rückkehr war unmöglich.
    Immer wenn ihr Vater auf Reisen war, vertrieb sich Ileana die Zeit mit Freunden. Sie kam so selten wie möglich nach Hause, und sehr oft, wenn sie aus dem Wohnzimmer Stimmen hörte, benutzte sie die Hintertür.
    Über ein Jahr später bekam sie einen Brief von einer Schulfreundin, die sie einlud, den Sommer bei ihrer Familie in Monte Carlo zu verbringen. Der Baron war gerade wieder unterwegs, und da lief sie mit dem Brief in der Hand in das Zimmer ihrer Mutter. Sie war ganz aufgeregt und gab ihr den Brief zu lesen.
    Sie war außer sich vor Freude und sagte, während ihre Mutter las: »Ist das nicht wunderbar, mal rauszukommen aus Paris in dieser furchtbaren Hitze. An den Strand und ans Meer. Ich kann es gar nicht erwarten!«
    Die Liebste faltete den Brief zusammen und legte ihn auf den Tisch. »Du kannst nicht fahren«, sagte sie. »Wir können es uns nicht leisten.«
    »Ich kann nicht?« Ileana wollte es nicht glauben. »Aber ich brauchte doch gar kein Geld. Ich bin eingeladen.«
    Die Liebste sah sie an. »Du brauchst was anzuziehen«, sagte sei. »Du kannst nicht losfahren und aussehen wie ein Lumpensammler.«
    »Aber ich habe doch Kleider«,

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