Die Moralisten
bedeutete?« fragte ich. »Daß Sie damit einen Akt der Prostitution begingen?«
»So habe ich es nicht betrachtet«, widersprach sie. »Wenn mir der Mann nicht gefiel, brauchte ich nichts zu tun. Dann hätte ich es auch nicht getan.«
»Sind Sie jemals einem Mann begegnet, der Ihnen nicht gefiel?« fragte ich spöttisch.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Miß Flood hatte recht. Sie kennt nur ganz feine Herren.« Wieder dröhnte das Gelächter durch den Saal.
»Unterhielten Sie, bevor Sie Miß Flood kennenlernten, jemals für Geld intime Beziehungen zu einem Mann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Hatten Sie jemals, nachdem Sie Miß Flood kennengelernt hatten, für Geld geschlechtlichen Verkehr mit einem Mann, den sie nicht herbeigeführt hatte?«
»Nein, Sir«, antwortete sie. »Ich bin keine Hure.«
»Das wäre alles, danke«, sagte ich und entfernte mich von ihr. Ich blieb an Vitos Tisch stehen. Marja sah zu mir auf. Ihre großen, dunklen, stolzen Augen blickten tief in die meinen. Ich hatte das äußerst seltsame Gefühl, daß dieser Stolz in ihnen mir galt. Ich bemühte mich, sie gleichgültig anzusehen, und wandte mich an Vito. »Ihre Zeugin«, sagte ich und ging zu meinem Tisch weiter. Ich setzte mich hin und beobachtete, wie sich Vito langsam erhob. Kein Zweifel, er war einer der großen Anwälte. Sogar darin, wie er jetzt auf die Zeugin zuschritt, offenbarten sich seine Selbstsicherheit und sein Können. Seine Stimme klang voll und fest. »Miß Marnay«, sagte er.
Sie sah ihn an. »Ja, Sir.«
Ich mußte ihn, sehr gegen meinen Willen, bewundern. Allein mit der Art, in der er ihren Namen aussprach, hatte er bereits Gewalt über sie gewonnen.
»Sie haben vorhin erwähnt, Sie seien in einem Theaterstück in Chillicothe aufgetreten. Ich glaube, Großer Jux im kleinen Tal haben Sie es genannt.«
Sie nickte. »Ja, Sir.«
»Sie sagten, ein gewisser Professor Berg habe das Stück geschrieben?« »Jawohl, Sir.«
»Sie sagten, sie wären danach auf Anregung von Professor Berg, der erklärt hatte, Sie hätten ein zu großes Talent, um es in einer Kleinstadt wie Chillicothe verkümmern zu lassen, nach New York gegangen?«
»Ja, Sir.«
»Ich nehme doch an, daß er damit Ihr schauspielerisches Talent meinte. Das hat er doch gemeint, nicht wahr?«
Das Mädchen zögerte.
Vitos Stimme wurde ungeduldig. »Nicht wahr, Miß Marnay, das hat er doch damit gemeint?«
Ihre Stimme klang nun noch leiser als zuvor. »Ich glaube wohl.« »Sie können ruhig etwas bestimmter antworten, Miß Marnay«, sagte er beißend.
»Das hat er gemeint«, sagte sie. »Jawohl, Sir.«
»Was?«
»Das schauspielerische Talent.«
»Sie haben uns auch erzählt, dieses Stück sei in einem kleinen Theater in Chillicothe aufgeführt worden. Was für ein Theater war das?«
Sie furchte die Stirn und warf mir einen besorgten Blick zu. Ich bemühte mich, zuversichtlich auszusehen, obwohl ich keine Ahnung hatte, worauf er eigentlich abzielte. »Es ... es war nicht eigentlich ein Theater«, stammelte sie.
»Wenn es kein Theater war, was war es dann?« fragte Vito.
»Es war der Antilopenklub«, antwortete sie. »Es war eine Sondervorstellung, für die der Professor das Stück geschrieben hatte. Anläßlich des Gründungsjubiläums.«
»Der Antilopenklub«, wiederholte Vito und sah die Geschworenen an. »So, so.« Er wandte sich ihr wieder zu. »War es nicht vielleicht eine reine Herrengesellschaft?«
Sie blickte zu Boden. »Ich glaube schon.«
»Hatten Sie die einzige weibliche Rolle?«
Sie nickte. »Ja.«
»Was für eine Rolle spielten Sie?«
Ihre Stimme war an meinem Tisch kaum noch zu hören. »Ich war ein Mädchen auf einer Farm.«
»Und was war der Inhalt des Stückes? Hatten Sie viel zu sagen, war Ihre Rolle lang?« Seine Stimme war scharf, er schaute die Zeugin durchdringend an.
»Es handelte von diesem Mädchen auf der Farm und den drei Männern, die auf der Farm arbeiteten: der Farmer, sein Sohn und ein Farmarbeiter. Und es handelte von dem, was sich in dieser Nacht ereignete. Ich hatte überhaupt nichts zu sagen, denn es war alles nur Pantomime. Der Professor hielt sehr viel von Stanislawski).« »Stanislawskij, hm ...« Vito kratzte sich den Kopf. »War das nicht der Russe, der das unmittelbare Handeln jedem Dialog vorzog?«
»Das stimmt«, gab sie zu.
»Und das Stück des Professors bestand also nur aus Handlung?« fügte er hinzu.
Sie nickte. »Ja.«
Er verlieh seiner Stimme besonderen Nachdruck, als er
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