Die Mütter-Mafia
durfte es auch kein anderer tun. Die einzige Tätigkeit im Haushalt, die Frau Klapko mir zubilligte, war das Kochen, und darin entwickelte ich im Laufe der Jahre auch einiges Können. Aber trotz der Zubereitung aufwändigster Menüs war mir immer noch mehr als genug Zeit für ausgiebige Einkaufsbummel geblieben, in deren Verlaufich mich gerne mit Trudi auf einen Cappuccino getroffen hatte. Ich hatte außerdem aus lauter Zeitüberfluss ausgefallene Kleider für Nellys Barbiepuppen genäht, und spätestens dabei hätte jede normale Frau angefangen, sich nach einem Job und der damit verbundenen Selbstbestätigung zu sehnen. Aber mir gefiel es, so viel Zeit zu haben. Ich hatte einen Haufen Romane gelesen, zwei oder drei pro Woche. Meine Vorliebe galt dicken Büchern, die unter dem Begriff »Familiensaga« geführt wurden und die gerne im Australischen Outback spielten. Die schöne Heldin lernt schon in frühester Jugend, wie man eine Farm führt, Schnaps brennt, Schafe schert und Buschbrände bekämpft. In der Regel wird sie von ihrem ständig besoffenen Stiefvater oder dem gewalttätigen Verwalter oder dem reichen, gemeinen Großgrundbesitzer von nebenan schwanger, gebiert das Kind in einer Gewitternacht, verblutet beinahe, schert weiter Schafe, rettet die Farm, heiratet den Großgrundbesitzer, obwohl sie dessen Neffen liebt, der aber mit einer anderen verheiratet ist und/oder im Krieg fällt. Der Großgrundbesitzer kommt bei einem Buschbrand um, oder aber er wird von dem besoffenen Stiefvater mit einer Axt erschlagen. Einige Jahre, Kriege und Buschbrände später findet die Witwe Briefe, aus denen hervorgeht, dass der Großgrundbesitzer ihr leiblicher Vater war. Kurz vor der Menopause und immer noch bildschön trifft sie dann endlich die ganz große Liebe und wird noch einmal schwanger. Leider ist das Buch hier in der Regel noch nicht zu Ende, denn dummerweise stellt sich der junge Mann als das eigene Kind heraus, das damals in der Gewitternacht geboren wurde. Das Ende ist klar: Einer von beiden erhängt sich, der andere geht ins Kloster. Und das Kind der beiden erbt die Farm und das Anwesen des Großgrundbesitzers, lernt Schafe zu scheren, Schnaps zu brennen und Buschbrände zu bekämpfen. Und findet hoffentlich niemals heraus, wer seine Eltern sind, denn dort im Outback sind Psychologen rar.
Nach solcher Lektüre kommt einem das eigene Leben immer vor wie das reinste Paradies, und man weiß wieder, dass es keineZufälle gibt, nur Schicksal. Ich hatte Schicksale dieser Art hundertfach verschlungen, während Frau Klapko die Socken sortierte, die Bilderrahmen abstaubte oder die Türklinken polierte.
Hier im Hornissenweg gab es keine Frau Klapko, und mit Schrubber und Staubsauger war dem Chaos hier ohnehin nicht beizukommen. Kaum war ich wieder über die Schwelle getreten, überfiel mich ein lähmendes Gefühl, diese Art Gefühl, das einen befallt, wenn eine Sache eigentlich schon verloren ist. Ich hatte kein Geld, und ohne Geld war an dieser Mahagoni-Einöde sowieso nichts zu retten. Der »vorläufige Unterhalt«, den Lorenz mir monatlich überwies, reichte gerade mal für Lebensmittel, Strom, Wasser und Gas. Und deshalb war auch nicht der Zustand der Wohnung mein vordringliches Problem, sondern die Frage, wie genau es jetzt weitergehen sollte. Schon die Vorstellung, loszuziehen und mir eine Zeitung mit Stellenannoncen zu kaufen, was nahe liegend war, machte mir Angst. Etwas ziellos irrte ich in meinen ungleich hohen Stiefeln durch das Haus. Ob ich doch Omi Wilmas Himbeergeistverstecke ausfindig machen und im Rausch auf eine geniale Idee hoffen sollte?
Zu meinem Glück gab es Mimi Pfaff von nebenan. Sie stand pünktlich um neun in einem orangefarbenen Overall voller Farbkleckse vor der Tür und erläuterte mir grußlos ihren Drei-Stufen-Plan zur Hausrenovierung.
»Erstens: Bestandsaufnahme. Zweitens: Entrümpelung. Drittens: Streichen. Hier habe ich schon einmal eine Liste zur Bestandsaufnahme vorbereitet.« - Sie hielt ein Klemmbrett mit Notizblock hoch. - »Wir gehen Raum für Raum vor. Alle Sachen, die wir über >Ebay< verticken werden, können wir ja in deiner Garage lagern. Das ist das Gute daran, dass du kein Auto hast. Ich werde alles mit der Digitalkamera fotografieren und bei >Ebay< reinstellen, aber natürlich unter deinem Namen. Dann können Ronnie und ich unauffällig mitbieten, um die Preise anzuheben. Was nicht verkauft werden kann, fahrt Ronnie auf die Deponie.«
»Wer ist Ronnie?«, fragte ich
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